Entschädigung bei Ausfall oder Verspätung der Flüge bei Tuifly

Gibt es eine Entschädigung für Flugausfälle oder Flugverspätungen bei Tuifly?

Die Medien berichten aktuell davon, dass Flüge von Tuifly und Air Berlin massenhaft storniert werden oder mit erheblichen Verspätungen unterwegs sind (Bild, Spiegel, Zeit). Betroffene fragen sich auch, ob Ihnen für die entstandenen Umstände Ansprüche gegen die Fluggesellschaften zustehen.

Bereits gestern beeilte sich die Sprecherin von TUI zu versichern, dass es bei den hier vorliegenden massenweisen kurzfristigen Krankmeldungen um eine streikähnliche außergewöhnliche Situation handle, sodass Ausgleichszahlungen nicht getätigt werden.

„Die massenhaften und äußerst kurzfristigen Krankmeldungen sind ein außergewöhnlicher und nicht vermeidbarer Umstand im Sinne von höherer Gewalt.

(http://www.spiegel.de/reise/aktuell/tuifly-streicht-fuer-freitag-alle-fluege-a-1115538.html)

Ob dies so stimmt, ist fraglich.

Darüber, welche Rechte Fluggäste bei Flugausfall, Flugannullierung oder Flugverspätung haben, haben wir in diesem Blog schon ausführlich berichtet.

Der Dreh- und Angelpunkt des Anspruchs aus der europäischen Fluggastrechteverordnung liegt in diesen Fällen in der Exkulpationsmöglichkeit der Fluggesellschaft. Sie ist nämlich dann von der Leistung von Ausgleichszahlungen befreit, wenn der Flugausfall oder die Flugverspätung so genannten außergewöhnlichen und unvermeidbaren Umständen beruht.

Deutsche Gerichte haben sich in vielen Entscheidungen mit der Auslegung dieses Begriffs befasst.

Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände wird in der Verordnung selbst nicht definiert, sondern nur in Nr. 14 der Erwägungsgründe mittels einer Aufzählung (politische Instabilität, schlechte Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und Streiks) präzisiert. […]Dabei bemisst sich das Kriterium der Beherrschbarkeit insbesondere danach, ob der betreffende Vorgang unmittelbar in den betrieblichen Ablauf der Fluggesellschaft fällt. An ihr fehlt es, wenn der Fehler oder das Problem aus einer völlig anderen und deshalb von dem Unternehmen selbst nicht beherrschbaren Sphäre stammt. Mithin ist die Beherrschbarkeit an die Verantwortung für den Vorgang zu knüpfen, weshalb es unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der fraglichen EG-VO maßgeblich darauf ankommt, in wessen Verantwortungsbereich dieser Vorgang fällt (LG Darmstadt, Urt. v. 7.7.2010 – 7 S 229/09, BeckRS 2014, 03647; AG Frankfurt a. M., NJW-RR 2010, 1360 ). Für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ist danach – unabhängig von der Kategorisierung als technischer Defekt oder unerwarteter Sicherheitsmangel – entscheidend, ob das zugrundeliegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstellt oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen ist.
(NJW-RR 2014, 435, beck-online)

Es wird deutlich: für das Vorliegen eines entlastenden außergewöhnlichen Umstandes ist es erforderlich, dass dieser von außerhalb des üblichen Betriebsrisikos stammt.

Der Fall der unvorhergesehenen Erkrankung wurde ebenfalls gerichtlich behandelt. So das AG Frankfurt a.M:

Gemessen an diesen strengen Anforderungen liegt bei der (unerwarteten) Erkrankung von Flugpersonal kein Fall vor, den die Verordnung überhaupt mit der Beschreibung eines „außergewöhnlichen“ Umstands erfassen wollte; im Ausfall von Personal – auch und namentlich durch Krankheit – verwirklicht sich ein typisches und gewöhnliches Unternehmerrisiko. Anhaltspunkte dafür, dass die Verordnung dieses gewöhnliche und typische Unternehmerrisiko auf die Fluggäste verlagern wollte – mit der Folge der Leistungsfreiheit des Luftfahrtunternehmens – sind nicht ersichtlich und ergeben sich weder aus Wortlaut, noch aus Zielrichtung oder Entstehungsgeschichte der Verordnung (ebenso: AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.08.2010 – 3 C 109/10 – juris, Abs.-Nr. 20 ff.; AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.09.2010 – 3 C 598/10 -, juris, Abs.-Nr. 15; in diese Richtung wohl auch, letztlich aber offen lassend: BGH, Urt. v. 18.03.2010 – Xa ZR 95/06 -, juris, Abs.-Nr. 16).
(AG Frankfurt a.M., Urteil vom 20.05.2011 – Aktenzeichen 31 C 245/11, BeckRS 2011, 26967, beck-online)

Der Bundesgerichtshof hat hingegen für den Fall des Streiks entschieden, dass diese dem Grunde nach geeignet sind als außergewöhnliche Umstände eingestuft zu werden. In diesem Fall müsse die Fluggesellschaft aber darlegen und beweisen, dass sie alles Zumutbare zur Vermeidung des Flugausfalls getan hat (BGH, Urt. v. 21. 8. 2012 – X ZR 138/11 (LG Köln).

Was zumutbar oder unzumutbar für eine Fluggesellschaft ist, hat der BGH in einer neueren Entscheidung konkretisiert:

Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia, aaO Rn. 40, 42; Urteil vom 12. Mai 2011 – C-294/10, NJW 2011, 2865 = RRa 2011, 125 – EglTtis und Ratnieks/Air Baltic Rn. 30). Zum einen kommt es darauf an, welche Vorkehrungen ein Luftverkehrsunternehmen nach guter fachlicher Praxis treffen muss, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftverkehrsunternehmen außer Stande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan im Wesentlichen einzuhalten (nachfolgend zu (1)). Zum anderen muss das Luftverkehrsunternehmen, wenn eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung tatsächlich eintritt oder erkennbar einzutreten droht, alle ihm in dieser Situation zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass hieraus eine Annullierung oder große Verspätung resultiert (nachfolgend zu (2)). Hingegen begründet die Fluggastrechteverordnung keine Verpflichtung der Luftverkehrsunternehmen, ohne konkreten Anlass Vorkehrungen wie etwa das Vorhalten von Ersatzflugzeugen zu treffen, um den Folgen außergewöhnlicher Umstände begegnen zu können
(BGH, Urteil vom 12.06.2014 – Aktenzeichen X ZR 104/13, BeckRS 2014, 17220, beck-online)

Es ist daher jeder Einzelfall getrennt zu betrachten. Für den Nachweis eines außergewöhnlichen Umstandes ist die Fluggesellschaft selbst verantwortlich. Gelingt ihr der Nachweis nicht, so verbleibt es dabei, dass den Fluggästen je nach Flugärgernis Ausgleichszahlungen von 250,00 € bis 600,00 € zustehen. Es bietet sich daher an, die Argumentation von Tuifly auch gerichtlich überprüfen zu lassen.

Boris Schenker
Rechtsanwalt

Rechtsanwälte und Fachanwälte Felser sind spezialisiert auf juristischen Fragestellungen aus den Rechtsgebieten Arbeitsrecht, Familien- und Erbrecht sowie allgemeinen Zivilrecht und Verkehrs(straf)recht.

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