„Hitzefrei in der Schokoladenproduktion“ ist ein schöner und leckerer Titel in einer Zeitung, der die Aufmerksamkeit nicht nur schwitzender Leckermäuler unter den Lesern auf sich zieht. MVRegio berichtet, dass Chocolatier Deprie die Produktion einstellt, um die wertvollen süssen Produkte vor Schaden zu bewahren. Nach Meinung von Wikipedia können die ebenfalls schwitzenden Chocolatiers am Arbeitsplatz allerdings nicht den gleichen Schutz erwarten. Arbeitnehmer könnten eine Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften zur Arbeitsplatztemperatur nicht durch Leistungsverweigerung oder Selbstbeurlaubung quittieren. Das Laienportal Wikipedia wiederholt zum Beleg seiner Behauptung einen häufig gelesenen Unsinn, nämlich dass das Bundesarbeitsgericht lediglich langsamer Arbeiten erlaubt habe. Wikipedia: „Das Bundesarbeitsgericht stellte im Hochsommer 2003 fest, dass Hitze am Arbeitsplatz kein Grund ist, die Arbeit zu verweigern.“ „Bei besonders hohen Temperaturen kann allenfalls die Arbeitsgeschwindigkeit angepasst werden“, so das Gericht laut Wikipedia. Mit diesem rhetorischen Kniff (Berufung auf Autoritäten) hat die dpa seinerzeit Artikel zur Sommerhitze aufgehübscht, eine clevere Idee der Redaktion.

Bei dieser „Feststellung“ handelt es sich allerdings nicht – wie das Zitat bei Wikipedia suggeriert – um eine verbindliche Aussage des Bundesarbeitsgerichts oder gar ein Urteil, sondern eine telefonische Aussage des stellvertretenden Pressesprechers des Bundesarbeitsgerichts, der sich zu dieser Aussage gegenüber dpa hat verleiten lassen. Die Journalisten von dpa haben darauf, dass es sich um die Aussage des Pressesprechers gegenüber dpa handelt – anders als Wikipedia – allerdings in dem in fast allen Tageszeitungen nachgedruckten Beitrag hingewiesen. Die offensichtlich von der „Go slow“ (Bummelstreik) Taktik inspirierte „flotte Aussage“ des Sprechers hat nicht den Beifall aller Kolleginnen und Kollegen am Bundesarbeitsgericht gefunden und wird sich wohl kaum wiederholen. Höchste Gerichte äussern sich aus gutem Grunde nicht zu aktuellen juristischen Streitfragen durch Pressesprecher. Das Bundesarbeitsgericht trifft solche Feststellungen nämlich verbindlich durch die gesetzlichen Richter, also den zuständigen Senat mit drei Berufsrichtern in anhängigen Rechtsstreitigkeiten und nicht gegenüber der Presse, sondern den Parteien.

Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitnehmer einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz hat (der betroffene Arbeitnehmer musste also nicht mit „ein bisschen langsamer atmen“ behelfen); dies selbst dann, wenn er individuell empfindlicher ist und die Arbeitsschutzvorschriften bzgl. der Schadstoffe und Atemluft eingehalten sind, da es sich dabei nur um Mindestvorschriften handelt (so BAG vom 17.02.1998 – 9 AZR 84/97).

Nichts anderes gilt bei Hitze im Büro und den einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften. Ein Leistungsverweigerungsrecht bei drohenden Gesundheitsschädigungen hat ein Arbeitnehmer sowieso, denn bei keinem Arbeitnehmer, auch Journalisten oder Pressesprechern nicht, sind Gesundheitsschäden im Gehalt included.

>>> Mehr Infos, Richtlinien, rechtskräftige Urteile uvm auf Hitzefrei-fuer-Arbeitnehmer (de)
>>> Interview in der Süddeutschen Zeitung zum Thema „Hitzefrei am Arbeitsplatz
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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