Zuletzt geändert am 29. April 2012 um 23:19

Stalking

Version vom 29. April 2012, 23:19 Uhr von Mwf (Diskussion | Beiträge)

(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Stalking - Begriff

Stalking (englisch für hetzen, jagen, verfolgen) ist laut Wikipedia "das willentliche und wiederholte (beharrliche) Verfolgen oder Belästigen einer Person, deren physische oder psychische Unversehrtheit dadurch unmittelbar, mittelbar oder langfristig bedroht und geschädigt werden kann." Auf Wikipedia finden sich auch andere Definitionen.

Für den juristischen Begriff des Stalking (Nachstellen) gilt folgendes:

"Das Phänomen Stalking hat in jüngster Zeit zunehmend an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen und zu besonderen Entwicklungen im Zivil- und Strafrecht geführt. Die unter dem englischen Begriff "Stalking" diskutierten Verhaltensweisen zeichnen sich dadurch aus, dass einer anderen Person fortwährend nachgestellt, aufgelauert oder auf andere Weise mit hoher Intensität Kontakt zu ihr gesucht bzw in ihren individuellen Lebensbereich eingegriffen wird (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1). Eine einheitliche Begriffsbestimmung ist wegen der äußerst facettenreichen Fallgestaltungen schwierig (vgl etwa Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382, 3384). Allgemein handelt es sich um ein Verhalten der fortgesetzten Verfolgung, Belästigung und Bedrohung einer anderen Person gegen deren Willen (so die Gesetzentwürfe des Bundesrates vom 27.4.2005 und 23.3.2006, BT-Drucks 15/5410 S 1 und BT-Drucks 16/1030 S 1). Dabei sind die einzelnen Handlungen des Täters sehr vielgestaltig. Sie reichen von häufigen, vielfach wiederholten Telefonanrufen zu jeder Tages- und Nachtzeit, dem Übersenden von E-Mails, SMS oder Briefen, der Übermittlung von Geschenken, dem Auflauern vor der Wohnung oder am Arbeitsplatz und Drohungen bis hin zu Zudringlichkeiten und tätlichen Angriffen. Durch ihre Häufigkeit und Kontinuität führen auch Einzelhandlungen, die jeweils für sich genommen als sozialadäquat angesehen werden könnten, zu unzumutbaren Beeinträchtigungen und einer erzwungenen Veränderung der Lebensumstände des Opfers (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1).

In der mit Wirkung vom 31.3.2007 Gesetz gewordenen Fassung des § 238 Abs 1 StGB lautet der Tatbestand der Nachstellung:

Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich

1. seine räumliche Nähe aufsucht, 2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht, 3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen, 4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder 5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Durch § 238 StGB sollen nach dem Willen des Gesetzgebers beharrliche Nachstellungen, die einschneidend in das Leben des Opfers eingreifen, über die bereits bestehenden und in Betracht kommenden Straftatbestände - wie etwa der Nötigung (§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) oder des Zuwiderhandelns gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (§ 4 GewSchG) - hinaus mittels eines weiteren Straftatbestandes verfolgt werden können, um auf diese Weise einen besseren Opferschutz zu erreichen und Strafbarkeitslücken zu schließen (BT-Drucks 16/575 S 1). Der neue Straftatbestand dient damit dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der Lebensgestaltung (vgl BGH Beschluss vom 19.11.2009 - 3 StR 244/09 - BGHSt 54, 189 - juris RdNr 14 mwN)."

so das Bundessozialgericht im Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R.

Stalking im Arbeitsrecht

Stalking im Job ist weit verbreitet, sowohl unter Arbeitskollegen als auch von Vorgesetzen gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern. Betroffen sind überwiegend Frauen, Statistiken sprechen von 87 % aller Fälle. Stalking kann eine Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG wegen des Geschlechts und eine sexuelle Belästigung gemäß § 3 Abs. 4 AGG darstellen. Bisher gibt es allerdings wenige Urteile zu diesem Phänomen. Es ist zu vermuten, daß es eine hohe Dunkelziffer nicht zur Kenntnis der Vorgesetzen gebrachten Stalkingfälle gibt und viele Mitarbeiter von sich aus das Problem durch eine Eigenkündigung lösen. Stalker müssen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit einer Kündigung rechnen.

Stalking als Kündigungsgrund

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.4.2012 das Stalking von Arbeitskollegen, aber auch Leiharbeitnehmern, als rechtswidrige Verletztung arbeitsvertraglicher Pflichten und damit als Kündigungsgrund anerkannt. Stalking könne sogar eine ausserordentliche, fristlose Kündigung rechtfertigen. Eine Abmahnung könne entbehrlich sein.[1]

Stalking und Mitbestimmung Betriebsrat / Personalrat

Stalking betrifft wie das Mobbing die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs 1 Nr 1 und Nr 7 BetrVG sowie die entsprechenden Beteiligungstatbestände in Landespersonalvertretungsgesetzen und dem Bundespersonalvertretungsgesetz. Betriebsrat und Personalrat haben ein Initiativrecht zur Mitbestimmung beim Thema Stalking und einen Anspruch auf Teilnahme an Schulungen / Seminaren, die sich mit der Beteiligung der Arbeitnehmervertretung bei Stalking befassen. Eventuell bereits bestehende Betriebsvereinbarungen zur Mobbing-Problematik sollten um das Thema Stalking erweitert werden. Der Betriebsrat kann unter Umständen sogar nach § 104 BetrVG die Entlassung des Stalkers fordern.

Urteile zum Stalking

Bundesarbeitsgericht vom 19.04.2012 Aktenzeichen 2 AZR 258/11: Stalking stellt einen schwerwiegenden Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Nebenpflicht, die Privatsphäre und den deutlichen Wunsch einer Arbeitskollegin zu respektieren, nicht-dienstliche Kontaktaufnahmen mit ihr zu unterlassen, dar. Stalking kann die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Ob es zuvor einer einschlägigen Abmahnung bedarf, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Bundessozialgericht vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R: Stalking-Opfer haben nur Anspruch auf Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, wenn ihnen körperliche Gewalt angetan wurde. Rein psychischer Terror reiche nicht aus.

Literatur zum Stalking im Arbeitsrecht

Dorothea Bieszk, Susanne Sadtler Aufsatz | Mobbing und Stalking: Phänomene der modernen (Arbeits-)Welt und ihre Gegenüberstellung | NJW 2007, 3382-3387

Uwe Reim Aufsatz | Stalking im Arbeitsverhältnis | AiB 2006, 16-22

Interviews zum Stalking

Bild.de vom 24.04.2012: Rechtsanwalt Felser wurde von Bild.de zum Stalkingfall der Sportlerin Friedrich interviewt. Diese hatte auf Facebook, also privat, ein vermeintlich von einem Hochsprungkollegen stammendes obszönes Mail erhalten und den von ihr als Absender angenommenen Kollegen öffentlich mit Namen und Wohnort auf Facebook geoutet.[2]

Weblinks

in Arbeit

Autor

Rechtsanwalt Michael W. Felser hat im Arbeitsrecht oft mit Mobbing oder Stalkingfällen zu tun. Die Grenzen sind manchmal fliessend. Rechtsanwalt Felser u.a. hat die Berater der vom Landesarbeitsministerium, Gewerkschaften, Kirchen und AOK betriebenen Mobbinghotline zur Rechtsprechung (Urteile zum Mobbing) geschult.