Der Sonderkündigungsschutz des Schwerbehinderten hat durch die Novellierungen im SGB IX in den vergangenen Jahren schon eine weitgehende Schwächung erfahren. Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte bedeutet, daß diesen nicht wirksam ohne vorherige Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes gekündigt werden kann. Dieses vorgeschaltete Verwaltungsverfahren bedeutet für den Schwerbehinderten nicht nur bloßen Zeitgewinn, sondern kann zum Ergebnis haben, daß die Zustimmung zur Kündigung verweigert wird. Das wird dann der Fall sein, wenn das Integrationsamt feststellt, daß die Möglichkeit leidensgerechter Weiterbeschäftigung – sei es auch durch Umgestaltung des Arbeitsplatzes – möglich ist. Verhindert werden soll, daß der Schwerbehinderte wegen seiner Behinderung den Arbeitsplatz verliert. Dieser Sonderkündigungsschutz kommt nicht nur Schwerbehinderten (mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. und höher) zu, sondern auch Arbeitnehmern, die zwar nur einen GdB zwischen 30 und 50 v.H. vorweisen können, aber nach entsprechendem Antrag durch die Bundesagentur für Arbeit Schwerbehinderten gleichgestellt worden sind.

Das BAG hat darüber hinaus in gefestigter Rechtsprechung vertreten, daß ein Arbeitnehmer, der den Sonderkündigungsschutz gem §§ 85 ff SGB IX in Anspruch nehmen will, bis zur Kündigung jedenfalls einen Antrag auf Feststellung der Behinderung bzw. auf Gleichstellung gestellt haben muß. Die Antragstellung kann nur dann entbehrlich sein, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig ist und der Arbeitgeber vor Kündigung über die körperlichen Beeinträchtigungen und beabsichtigte Antragstellung informiert worden ist.

Die bloße Antragstellung reicht so aber nach der Novellierung des SGB IX nicht mehr aus. Durch den aufgenommen § 90 Abs. 2 a SGB IX ist jetzt geregelt, daß der Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX nicht gewährt wird, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft noch nicht nachgewiesen ist oder das mit der Prüfung eines Antrags betraute Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers nicht treffen konnte. Der „redliche“ Antragsteller kann also immer noch kurzfristig – allerdings unter erschwerten Voraussetzungen – durch Antragstellung Sonderkündigungsschutz erlangen:

Nach § 69 Abs. 1 Satz SGB IX i.Vm. § 60 Abs. 1 SGB I muß der Antragsteller nämlich jetzt unverzüglich alle notwendigen Unterlagen dem Versorgungsamt zur Verfügung stellen. Da § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX aber auch auf § 14 Abs. 2 Satz 2 und 4 SGB IX, verweist, ist das Versorgungsamt angehalten, die dort geregelten Fristen bei der Prüfung des Antrags einzuhalten. Das Versorgungsamt muß also – sofern ein Gutachten nicht erforderlich ist – binnen 3 Wochen über die Schwerbehinderteneigenschaft und Anerkennung entscheiden. Muß vorher ein Gutachten eingeholt werden, dann muß das Versorgungsamt seine Entscheidung binnen 2 Wochen nach Zugang des Gutachtens treffen. Mißachtet das Versorgungsamt diese Fristen, dann kann der „redliche“ Antragsteller sich frühestens nach drei Wochen also auch immer noch auf den Sonderkündigungsschutz berufen, obwohl seine Schwerbehinderteneigenschaft noch nicht feststeht.

Nun weiß mancher Arbeitgeber oft nicht, daß eine Schwerbehinderung, Gleichstellung oder entsprechender Antrag vorliegt und kündigt mangels besseren Wissens ohne vorherige Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes. Die Kündigung ist dann unwirksam. In diesem Zusammenhang stellte sich schon immer die Frage, wie lange der Arbeitnehmer auch im Kündigungsschutzprozeß dann damit warten darf, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen und die Unwirksamkeit der Kündigung mangels Zustimmung geltend zu machen. Schon immer bestand Einigkeit darüber, daß der Arbeitnehmer hiermit nicht ewig hinter dem Berg halten darf, weil er ansonsten den Arbeitgeber u.U. monatelang davon abhalten könnte, eine vielleicht durchaus mögliche und wirksame Nachkündigung auszusprechen. Sicherlich ist der Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet, den Arbeitgeber sofort nach Ausspruch einer Kündigung über die Schwerbehinderung, die Gleichstellung oder die jeweilige Antragstellung zu informieren. Das BAG ging aber davon aus, daß dies jedenfalls in angemessener Frist zu geschehen hat, damit der Arbeitnehmer seinen Sonderkündigungsschutz nicht verwirkt. Das BAG nahm und nimmt wohl noch an, daß die Information rechtzeitig erfolgt, wenn der Arbeitgeber binnen eines Monats ab Zugang der Kündigung darüber aufgeklärt wird, daß der Gekündigte schwerbehindert ist oder einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung gestellt hat.

Der 2. Senat des BAG hat die Monatsfrist in seinem Urteil vom 12.01.2006 – 2 AZR 539/05 – noch einmal bestätigt. Allerdings hat der Senat auch geäußert, sich vermutlich vor dem Hintergrund der Neufassung des SGB IX und des § 4 KSchG künftig an einer Mitteilungsfrist von 3 Wochen zur Vermeidung der Verwirkung zu orientieren. Der Senat greift mit dieser Äußerung das bereits in der Literatur thematisierte Argument, das Festhalten an der Monatsfrist führe nach der Neufassung des SGB IX und des § 4 KSchG, wonach Zeiträume von 3 Wochen beachtet werden müssen, zu einem Wertungswiderspruch, auf. Nach dem novellierten § 4 KSchG sind nämlich nunmehr alle Unwirksamkeitsgründe – auch die außerhalb des KSchG – binnen drei Wochen mit der Klage geltend machen.

Die Luft wird nach aller Voraussicht also für die betroffenen Arbeitnehmer und auch für deren Prozeßbevollmächtigten noch einmal etwas dünner. Bevor also gegen Monatsende überlegt wird, das Argument „Sonderkündigungsschutz“ erst nach Monatswende in die Waagschale zu werfen, um eine Nachkündigung erst zu einem späteren Kündigungsfristende zu ermöglichen, sollte hier noch einmal mit spitzer Feder nachgerechnet werden, ob dies dann noch innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung geschieht.
Fundstelle: Urteil des BAG vom 12.01.2006 – 2 AZR 539/05 –

Christian von Hopffgarten
Rechtsanwalt & Fachanwalt
für Arbeitsrecht
Rechtsanwälte Felser

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