Studenten, die in Multiple Choice Tests (altdeutsch: „Antwort-Wahl-Verfahren“) an deutschen Unis durchfallen, haben gute Karten vor Gericht. Mehrere Verwaltungsgerichte bestätigen die Auffassung, dass die Auswahlverfahren jedenfalls dann unzulässig sind, wenn sie eine absolute Bestehensgrenze z.B. bei 50 % der maximal erreichbaren Punkte vorsehen.

„Diese Eigenheiten des Antwort-Wahl-Verfahrens zeigen, daß die Bestehensgrenze sich nicht allein aus einem Vomhundertsatz der geforderten Antworten ergeben darf, sondern in einem Verhältnis zu einer möglichen Höchstleistung oder zu einer Normalleistung stehen muß. Die Festlegung ist also nicht ohne Rücksicht auf einen vorgestellten Schwierigkeitsgrad möglich. … Eine starre Bestehensregel … fordert für alle Prüfungstermine immer den gleichen Anteil richtiger Antworten und unterstellt damit, daß sich der Schwierigkeitsgrad aller Prüfungstermine grundsätzlich konstant halten oder doch wenigstens steuern läßt. Unterliegt der Schwierigkeitsgrad erheblichen Schwankungen, die sich der Kontrolle des Prüfers entziehen, entfaltet auch die Bestehensregel unkontrollierbare Wirkungen. Bei leichten Prüfungsterminen wirkt die absolute Bestehensgrenze zu großzügig, während sie bei besonders schwierigen Prüfungsterminen zu einem übermäßig scharfen Maßstab gerät.“

so das Verwaltungsgericht Göttingen vom 04.07.2006 – Aktenzeichen 4 B 52/06 (Zahnmedizin). Das Urteil kann via „Rechtscentrum“ für 2 Euro heruntergeladen werden.

Auch das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster (vom 04.10.2006 – 14 B 1035/06) hat ein Multiple Choice Verfahren an der Uni Köln (BwL) gekippt. Den Beschluss im Volltext finden Sie auf den Seiten des Kölner Kollegen Dr. Birnbaum, der den Kläger vertreten hat und auf dessen erfolgreiches Wirken auch der Beschluss des OVG Sachsen zurückzuführen ist.

Unfassbar, aber wahr ist, dass das in zahlreichen Fällen trotz einer Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Sachsen aus dem Jahr 2002 immer noch entsprechende Verfahren finden, die verfassungswidrig sind, wie die Gerichte unisono feststellen. Die entspechenden Schlüsse lassen sich wohl bereits aus älteren Verfassungsgerichtsentscheidungen zu Multiple Choice Tests ziehen. Nun denn, die Medizinprofs dürften das studium generale vernachlässigt haben, bei dem auch eine Vorlesung im Verfassungsrecht nicht schadet.
Leider ist das Ergebnis eines Rechtsstreits nicht das Bestehen der Prüfung, sondern nur die Wiederholung. Aber immerhin. Die Juristen kennen das ja schon.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser

1 Kommentar

  1. johannes121
    5. März 2007 17:17

    Was bitte ist an „Multiple Choice“ verfassungswidrig? Der zitierte Text aus dem Urteil befasst sich damit, dass offenbar im vorliegenden Fall unfair benotet wurde. Es ist sicher richtig, dass sich solch ein Nachweis leichter führen lässt, wenn es sich bei der unfairen Prüfung um eine Multiple-Choice-Prüfung handelt, aber in beiden zitierten Fällen beruft sich das Gericht darauf, dass die Prüfungen unsauber waren und in einem Fall gegen die Prüfungsordnung der betreffenden Universität verstießen. Fazit: eine unfaire Prüfung ist verfassungswidrig – auch wenn es sich um eine Mutliple-Choice-Prüfung handelt.

    Nirgends konnte ich einen Hinweis finden, dass das Verfahren per se verfassungswidrig sei. Im Gegenteil berufen sich die Urteile jeweils auf Fehler im Verfahren der konkreten Prüfung. Leider sind wohl in vielen Fällen die Fachprüfer juristisch zu wenig gebildet, als dass ein findiger Jurist nicht Formfehler in Prüfungen und Prüfungsordnungen finden könnte…

    Zum Glück ist das Ergebnis eines Rechtsstreits nicht das Bestehen der Prüfung sondern das Recht auf Wiederholung derselben. Ansonsten müssten künftig alle Prüfungen von Juristen abgehalten werden, auch diejenigen in Medizin und allen anderen Fächern. Das wiederum kann nur Ihnen als Rechtsanwalt „recht“ sein…