Nicht alles, was hier im Blog zu Gerichtsurteilen geschrieben wird, schmeichelt immer der Justiz. Wegen ihrer wichtigen Funktion muss sich gerade die Rechtsprechung besonders kritisch betrachten lassen. Man muss aber auch Gerichtsurteile mal wegen Lebensnähe loben dürfen. So hat das OVG Niedersachsen (Beschluss vom 19.10.2006 – Aktenzeichen 8 A 2/06) die Kündigung eines Personalratsvorsitzenden wegen angeblichen Abrechnungsbetruges mangels vorheriger Abmahnung für unwirksam erklärt und den entsprechenden Antrag der Dienststelle auf Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Personalrats zurückgewiesen. Nun ist die Rechtsprechung bei Vermögensdelikten eigentlich besonders streng.

So hat das Bundesarbeitsgericht Kündigungen wegen Mitnahme oder Verzehr von drei Kiwifrüchten, einem Schollenfilet oder eines Bienenstichs akzeptiert. Bei Eigentumsdelikten halten die Gerichte meist auch eine Abmahnung für entbehrlich, weil ja jeder wisse, dass man das nicht dürfe. Beim angeblichen Abrechnungsbetrug des Personalratsvorsitzenden ging es um Tagegeld in Höhe von 6 Euro. Das Gericht hielt die Einlassung des Personalrats, es liege ein Schreibversehen (Vertipper) vor, für nachvollziehbar, zumal die Arbeitszeit auf einem anderen Formular korrekt angegeben wurde. Nur bei der Reisekostenabrechnung wurde die Reisezeit falsch angegeben. Ausserdem hielt das Gericht dem Arbeitgeber vor, der Prüfungsbericht der Revision belege deutlich, dass die Reisekostenabrechnungen häufig nicht den Richtlinien entsprechend eingereicht, aber trotzdem bezahlt wurden. Dem Gericht drängte sich auf, dass der Arbeitgeber die Kündigung des ansonsten auch gewissenhaften Personalratmitgliedes mit einem nicht mehr im akzeptablem Rahmen liegenden Engagement betrieb. Nun halten manche Kollegen auch „gesuchte“ Kündigungsgründe für zulässig. Dem erteilte das OVG Lüneburg jedenfalls für Arbeitnehmervertreter eine deutlich Absage:
„Unter diesen Umständen ist zu betonen, dass ein zielstrebiges Suchen nach Kündigungsgründen, welche Personalratsmitglieder betreffen, die Kündigung gerade eines Vorsitzenden des Personalrates schon für sich genommen unwirksam werden lassen kann. Vgl. dazu OLG Köln, NJW-RR 2003, 398 ff, 399:

Mit nicht zu übertreffender Deutlichkeit haben die Bekl. in der Berufungsinstanz vorgetragen, dass sie (teilweise mit geradezu detektivischen Mitteln) versucht haben, dem Kl. einen Abrechnungsbetrug nachzuweisen, weil sie sich unter allen Umständen fristlos von ihm trennen wollten. Allein dies rechtfertigt es, die fristlosen Kündigungen im Rahmen der gem. § 626 BGB bzw. § 89a HGB vorzunehmenden Interessenabwägung als unverhältnismäßig und daher unwirksam anzusehen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Das OVG wies demgemäss den Zustimmungsersetzungsantrag der Dienststellenleitung völlig zu Recht zurück. Man darf als Richter auch mal zwischen den Zeilen lesen …

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser

http://www.zustimmungsersetzungsverfahren.de

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