Der Fall Emmely und die beiden Kassenbons im Wert von 1,30 Euro zeigen deutlich: Der „gesuchte“ Kündigungsgrund ist „in“. In unserer Anwaltspraxis stellen wir seit Beginn der Krise eine unerklärliche Zunahme der verhaltensbedingten Kündigungen fest. Hintergrund ist mit Sicherheit nicht, dass die Arbeitnehmer seit Beginn der Krise stärker als vorher über die Stränge schlagen. Grund dürfte vielmehr sein, dass Arbeitgeber die Gelegenheit nutzen, um sich auf diese Weise von unliebsamen Arbeitnehmern zu trennen. Die Rechtsprechung erleichtert dies: Da sowohl ein „gesuchter“ Kündigungsgrund als auch eine „herausgreifende“ Kündigung erlaubt sind, kann ein Arbeitgeber durch vermeintliche Großzügigkeit einen Betrieb sogar gezielt „kündigungsschutzfrei“ machen. Die Zulässigkeit „herausgreifender“ Kündigungen kann dabei als schlimmeres Unheil angesehen werden als eine vernünftig vom Arbeitsgericht bewertete Verdachtskündigung. Eine herausgreifende Kündigung bedeutet nämlich, dass der Arbeitgeber nur einen von mehreren Arbeitnehmern kündigen darf, obwohl alle sich den gleichen Vorwurf gefallen lassen müssen. Das betrifft z.B. Kündigungsgründe wie die Mitnahme von abgelaufenen Lebensmitteln im Supermarkt oder Restaurant / Kantine oder die Verrichtung von Nebentätigkeiten oder Privatangelegenheiten auch am Arbeitsplatz. Begründet wird dies damit, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz im Kündigungsrecht nicht gelte. Das Ergebnis ist Willkür, nein, schlimmer noch, ein scheunentorgroßes Schlupfloch für „Abrechnungen“ mit unliebsamen Arbeitnehmern. Das Bundesarbeitsgericht bremst dabei nur allzu großen Übermut:

„Zwar kann die Unwirksamkeit einer Kündigung nicht unmittelbar aus einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hergeleitet werden. Dieser Grundsatz ist mit dem Gebot, bei der Prüfung des wichtigen Grundes die Umstände des jeweiligen Einzelfalles umfassend abzuwägen, nur beschränkt zu vereinbaren (BAGE 22, 162, 167 = AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu 3 der Gründe, m.w.N.; BAG Urteil vom 22. Februar 1979 – 2 AZR 115/78 – EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 23, zu 2 a der Gründe, m.w.N.). Eine nur mittelbare Auswirkung auf die Interessenabwägung kann der Gleichbehandlungsgrundsatz allerdings dann haben, wenn der Arbeitgeber bei gleicher Ausgangslage (gleichartige Pflichtverletzungen) nicht allen beteiligten Arbeitnehmern kündigt und daraus zu schließen ist, daß es für ihn zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis auch mit den gekündigten Arbeitnehmern fortzusetzen (Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 72; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 154).“

so BAG vom 15.03.1990 Aktenzeichen 2 AZR 484/89

Die Praxis und der Fall Emmely zeigt aber, dass schon die – angesichts der fehlenden Korrektur der Bewertung der Schwere des Kündigungsgrundes an sich besonders wichtige – „Interessenabwägung“ von den Arbeitsgerichten nicht genutzt wird, um zu den Einzelfall wirklich differenziert zu bewerten. Wie eine mittelbare Berücksichtigung bei der Interessenabwägung aussieht, kann man sich ausmalen. Schaut man sich die entschiedenen Fälle in der Rechtsprechung an (Schollenfilet u.a.), wird deutlich, dass den klagenden Arbeitnehmern die Berufung darauf „das machen doch alle!“ nicht hilft. Auffallend oft trifft es Betriebsratsmitglieder, wie sich durch BAG-Urteile belegen läßt. Einzelfälle, in denen Gerichte die geradezu detektivische Suche nach Kündigungsgründen kritisieren, sind leider selten, kommen aber vor (OVG Lüneburg bei Kündigung eines Personalratsmitglieds).

Als Anwalt wundere ich mich allerdings schon manchmal über die Arglosigkeit von Arbeitnehmern, die sich des Risikos nicht bewußt zu sein scheinen, wenn sie eine Duldung des Arbeitgebers von Eingriffen in seine Interessen wie die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb ausnutzen. So schwebt jederzeit das Risiko der Kündbarkeit über allen. In Zeiten der Krise schlägt der Arbeitgeber dann auch eher zu. Dann wird abgerechnet. „Zahlen bitte“.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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