Arbeitsbefreiung bei Schichtdienst wegen Betriebsratssitzung

Ein Betriebsratsmitglied hat Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Einhaltung einer Ruhezeit, wenn nach seiner Nachtschicht eine Betriebsratssitzung tagsüber anberaumt ist. Betriebsratsarbeit ist zwar wegen der ehrenamtlichen Aufgabe keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes, muss aber aus Gründen des Gesundheitsschutzes des Betriebsratsmitglieds genauso behandelt werden, so hat es das Landesarbeitsgericht Hamm entschieden (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 20. Februar 2015 – 13 Sa 1386/14 –, juris).

Am 16.07.2013 war der Kläger für die Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr eingeteilt. Der  Kläger hatte mit Rücksicht auf anstehende Betriebsratsaufgaben (Teilnahme an einer Betriebsratssitzung ab 13 Uhr) nur bis 02.30 Uhr gearbeitet. Er nahm auch am 17.07.2013 in der Zeit von 13.00 Uhr bis 15.30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil und gab an, zuvor noch von 11.45 Uhr bis 13.00 Uhr ebenfalls Amtstätigkeiten wahrgenommen zu haben (Sachverhalt nach Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 20. Februar 2015 – 13 Sa 1386/14 –, Rn. 3, juris). Der Arbeitgeber musste dem Betriebsratsmitglied die für den 17.07.2013 von 03.00 Uhr bis 05.00 Uhr abgezogenen zwei Stunden wieder gutschreiben.

Das Landesarbeitsgericht Hamm sieht zwar auch in der Betriebsratsarbeit keine Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz, so dass die Ruhezeit nach § 5 ArbZG nicht unmittelbar anzuwenden ist. Es hielt aber fest:

„Allerdings ist im Rahmen der anzustellenden Einzelfallerwägungen zur Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung wegen bevorstehender Betriebsratstätigkeit einerseits zu berücksichtigen, dass namentlich die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung von den Anforderungen an Aufmerksamkeit und geistiger Leistungsfähigkeit denjenigen bei der Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht nachsteht (BAG, 07.06.1989 – 7 AZR 500/88 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 72).

Andererseits ist der Schutzzweck des § 5 Abs. 1 ArbZG zu beachten, wonach die elfstündige ununterbrochene Ruhezeit der angemessenen Entspannung und Erholung sowie der Entfaltung der Persönlichkeit außerhalb des Berufslebens dient (vgl. BT-Drucksache 10/2188, S. 14); es soll sichergestellt werden, dass Beschäftigte nicht wegen Übermüdung oder wegen eines unregelmäßigen Arbeitsrhythmus sich selbst, Kollegen oder sonstige Personen verletzen und weder kurz- noch langfristig ihre Gesundheit schädigen (vgl. Art. 2 Abs. 9 RL 2003/88/EG).

Namentlich wird durch den Zeitrahmen des § 5 Abs. 1 ArbZG der Erkenntnis Rechnung getragen, dass der individuelle menschliche Schlafbedarf zur notwendigen Regenerierung von Körper und Geist unterschiedlich ist und zwischen sechs bis zu über acht Stunden liegen kann, wobei eine Umfrage ein Mittel von sieben Stunden 14 Minuten ergeben hat (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 27, Schlafstörungen, 2005, hrsgg. vom Robert-Koch-Institut, S. 7).

Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte ist es nicht zu beanstanden, wenn der Kläger zur Gewährleistung der individuell für ihn notwendigen Zeiten der Entspannung und Erholung insgesamt 10 Stunden in Anspruch genommen hat, bevor er am 17.07.2013 ab 13.00 Uhr an einer Betriebsratssitzung teilnahm, die ihn, wovon ausgegangen werden kann, hinsichtlich des Grades der Aufmerksamkeit und der geistigen Leistungsfähigkeit vergleichbar gefordert hat wie seine Tätigkeit als Anlagenbediener.“

(Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 20. Februar 2015 – 13 Sa 1386/14 –, Rn. 35, juris)

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Wenn keine ausreichende Ruhe zwischen Nachtschicht und Betriebsratssitzung liegt, kann das Betriebsratsmitglied der Sitzung nicht konzentriert folgen. Auch wenn zwischen Ende der Betriebsratssitzung und der folgenden Nachtschicht keine ausreichende Ruhezeit liegt, drohen Schäden an Gesundheit (u.U. auch der Kollegen ) und der Arbeitsmitteln.

Hintergrund:

In Betrieben, die mit einem Schichtsystem arbeiten, kommt es immer wieder zu Problemen einzelner Betriebsratsmitglieder, an der Betriebsratssitzung teilnehmen zu können, zB weil die Sitzung tagsüber stattfindet und das Betriebsratsmitglied in der Nachtschicht eingeteilt ist.

Grundsätzlich ist Betriebsratsarbeit während der Arbeitszeit zu leisten. Dies ergibt sich aus § 37 BetrVG. Auch muss ein Betriebsratsmitglied an der Betriebsratssitzung teilnehmen. Dies lässt sich aber in vielen Fällen gar nicht und in einigen Fällen nur bei Missachtung der Ruhezeit nach § 5 ArbZG von 11 Stunden realisieren.

Rechtslage:

Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 07.06.1989 (Aktenzeichen 7 AZR 500/88) kann für Betriebsratsmitglieder in einem Wechselschichtsystem in Bezug auf die Nachtschichten festgestellt werden: Wenn ein Betriebsratsmitglied für die Nachtschicht eingeteilt ist und die Betriebsratssitzung findet tagsüber zwischen zwei Nachtschichten statt, dann muss das Betriebsratsmitglied weder an der Nachtschicht vor der Sitzung, noch an der Nachtschicht nach der Sitzung teilnehmen.

Beide Schichten sind gemäß § 37 Abs 2 BetrVG voll zu bezahlen, da der Arbeitsausfall aufgrund der Betriebsratstätigkeit bedingt ist. Die Betriebsratstätigkeit findet zwar zu einer anderen Zeit statt, aber die Arbeitszeit fällt aus, weil das Mitglied seiner Betriebsratstätigkeit nachkommen will, kann und sogar muß.

Die Zeit der Betriebsratssitzung muss dann in Freizeit ausgeglichen werden, nach § 37 Abs 3 BetrVG, weil das Betriebsratsmitglied dafür Freizeit aufwendet.  Dies ergibt sich aus 37 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Danach muss immer dann Freizeitausgleich durchgeführt werden, wenn die Betriebsratstätigkeit durch besondere Umstände nicht während der individuellen Arbeitszeit durchführbar ist und hierfür betriebsbedingte Gründe vorliegen. (Schichtarbeit zählt nach der Rechtsprechung des BAG zu solchen betriebsbedingten Gründen).

Zur Frage der Zumutbarkeit jedenfalls nach der Betriebsratssitzung in der Nachtschicht zu erscheinen hat das BAG ausgeführt, dass es auch darauf ankommt, wie viel Zeit zwischen den Betriebsratssitzungen und der jeweiligen Nachtschicht liegt. Im vorliegenden Fall war von einer „Pause“ von 5 Stunden die Rede, die als nicht zumutbar angenommen wurde. Das Bundesarbeitsgericht sah – wie jetzt das Landesarbeitsgericht Hamm – Betriebsratsarbeit nicht als Arbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes an.

Nach der Auffassung des BAG war in dem zitierten Fall auch nach der Treuepflicht dem Betriebsratsmitglied nicht zumutbar, in eine volle Nachtschicht mit normaler Arbeitsbelastung und zu ordnungsgemäßen Erledigung seiner Arbeiten herangezogen zu werden. Das BAG machte sich auch Gedanken über die Nachteile für den Arbeitgeber bezüglich der Folgen einer fehlerhaften und damit vertragswidrigen auf Übermüdung beruhenden Arbeitsausführung.

Auch andere Gerichte haben sich in der Vergangenheit mit dieser Problematik beschäftigen müssen. Einhellig wurde hierbei die Auffassung vertreten, dass zumindest die Nachtschicht vor der Betriebsratssitzung nicht geleistet werden musste, weil dies unzumutbar sei.

ArbG Lübeck 07.12.1999 – Aktenzeichen 6 Ca 2589/99 – Nach diesem Urteil waren auch die vor und nach der Betriebsratssitzung liegenden Arbeitszeiten unzumutbar. Beide Schichten durften ausfallen und mussten gemäß § 37 Abs 2 BetrVG voll bezahlt werden. Für die Zeit der Betriebsratssitzung stand dem Betriebsratsmitglied ein Freizeitausgleich nach § 37 Abs 3 BetrVG zu, der ausdrücklich auf die vor- oder nachgelagerte Schicht gelegt werden durfte. Eine Ruhezeit von 7 Stunden nach einer vierstündigen BR Sitzung wurde hier als unzumutbar eingestuft.

ArbG Hamburg vom 15.04.82 – Aktenzeichen H 12 BV 24/81- nach diesem Urteil war das Betriebsratsmitglied von der Nachtschicht vor der BR Sitzung unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes zu befreien.

Das LAG Hamm (LAGE 38 BetrVG 1972 § 37 II Nr. 38) hat schon in einer früheren Entscheidung ausgeführt, dass Betriebsratsmitglieder von ihren Schichtverpflichtungen vor oder nach den Betriebsratssitzungen zu befreien seien, wenn dies zur aktiven, d.h. geistig wachen Teilnahme an den Betriebsratssitzungen erforderlich sei. Ausdrücklich weist das Gericht daraufhin, dass einem Betriebsratsmitglied grundsätzlich möglich sei muss, an den Betriebsratssitzungen regelmäßig teilnehmen und sich aktiv einbringen zu können. Kann das Mitglied dies nicht, droht ihm ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs.1 BetrVG wegen Vernachlässigung seiner Betriebsratspflichten.

Dies kann daher auch dazu führen, dass das Betriebsratsmitglied von den Arbeitszeiten vor und nach den Betriebsratssitzungen zu befreien ist. Dies ist aber auch abhängig von den Aufgaben, die das Betriebsratsmitglied im Betriebsrat innehat und erfüllen muss und auch abhängig von den Aufgaben in der jeweiligen Arbeitsschicht.

Das LAG Hamm schlug zur Lösung der Problematik vor, dass eine der Nachtschicht folgende Spätschicht um die Dauer der BR Sitzung verkürzt, leistbar sein könnte, sofern die vorangegangene Nachtschicht ausgefallen sei.

Zum Umfang der Bezahlung der ausgefallenen Schichten äußert sich das Landesarbeitsgericht Köln (LAG Köln vom 17.10.2003 Aktenzeichen 12 Sa 804/03). Danach das Lohnausfallprinzip; das Betriebsratsmitglied darf keine Einbußen im Lohn haben aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit. Daher ist auch die Nachtschichtzulage im vollen Umfange nach § 37 Abs.2 BetrVG zu bezahlen, obwohl die Nachtschicht nicht abgeleistet wurde.

 

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Brühl und Köln

Rechtsanwalt Felser war selbst fünf Jahre Betriebsratsvorsitzender und schult seit 1983 Betriebsratsmitglieder als Referent. Er berät und vertritt seit 20 Jahren zahlreiche Arbeitnehmervertretungen in vielen Unternehmen. Für die Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ hat er als autor zahlreiche Beiträge verfasst, als Buchautor des Bund-Verlages an zahlreichen arbeitsrechtliche Publikationen mitgewirkt. In der AiB-Plus hat er viele Anfragen von Betriebsräten beantwortet.

 

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