Den Medien mit einer gezielten Desinformation einen Bären aufgebunden? Der Vergleich mit dem öffentlichen Dienst bei den illegalen Einstellungsuntersuchungen in der Privatwirtschaft mit Blutentnahme „hinkt“ nämlich. Denn Arbeitnehmer sind nun einmal keine Beamten und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes.

In der Diskussion, die leider in der Presse sehr oberflächlich und mit ständigen flachen Wiederholungen statt zunehmender Verdichtung geführt wird, weisen manche Unternehmen darauf hin, dass der öffentliche Dienst, der ja besonders an Recht und Gesetz gebunden sei, diese Bluttests doch auch mache. Was solle also so schlimm daran sein.

Diese angebliche Praxis des öffentlichen Dienstes ist aber nur für die Einstellungsuntersuchungen von Beamten ohne weiteres zutreffend. Nur dort werden vergleichbar ausgiebige Einstellungsuntersuchungen und regelmäßig auch Bluttests vorgenommen. Bei Beamten ist die Rechtslage allerdings auch eine ganz andere als bei Arbeitnehmern. Beamte können nämlich von Gesetzes wegen bei Übergewicht (bei einem Body Mass Index (BMI) von mehr als 30), Skoliose oder schon wegen Hormonschwankungen eines Transsexuellen als ungeeignet abgelehnt werden. Im Beamtenrecht geht es – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben – bei der gesundheitlichen Eignungsprüfung nämlich nicht nur um die aktuelle Eignung für den vorgesehenen Dienstposten, sondern viel weitergehend darum, ob „ausgeschlossen werden kann, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen zu einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit führen können.“, so die Gerichte.  An der gesundheitlichen Eignung eines Beamten fehlt es bereits dann, wenn die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1993 – 2 C 27.90 -, DVBl. 1993, 953; zuletzt Oberverwaltungsgericht NRW vom 12.03.2008  – Aktenzeichen 6 A 4819/05: Diabetes Mellitus schliesst Verbeamtung aus).

„Zur Feststellung der gesundheitlichen Eignung bedarf es daher einer Prognose dahingehend, ob tatsächliche Anhaltspunkte die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze nahe legen. Eine solche Prognose wird zwar naturgemäß am individuellen Gesundheitszustand des Bewerbers anknüpfen müssen, wie er sich gegenwärtig und in der Vergangenheit dargestellt hat, kann aber zudem auch den Rückgriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswerte erfordern.“ So das Oberverwaltungsgericht NRW vom 12.03.2008  – Aktenzeichen 6 A 4819/05.

Bei behinderten Bewerbern auf eine Beamtenstelle soll auch die Berücksichtigung zu erwartender Krankheitszeiten bei der Eignung im Rahmen der Einstellung zum Nachteil des Bewerbers zulässig sein (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht vom 26.09.2008 Aktenzeichen 1 Bf 19/08). Hintergrund ist, dass der Steuerzahler für vorzeitig pensionierte Beamte aufkommen muss – ohne Gegenleistung.

Der Vergleich mit dem öffentlichen Dienst („die tuns doch auch“) erinnert aber selbst bei den Tarifangestellten an den Ruf des erwischten Diebes: „Haltet den Dieb“.

Allerdings gibt es auch hier einen entscheidenden Unterschied zu Daimler: die Einstellungsuntersuchung ist im öffentlichen Dienst in Berlin und Hessen nämlich tariflich vorgeschrieben. Deswegen ist es auch ganz schön clever, dass in die Presse der Hinweis auf Berlin lanciert wurde. Denn nur in Berlin und Hessen (das CDU regierte Land wollte man aber offenbar nicht in die Presse bringen) gilt noch der Bundesangestelltentarifvertrag, der eine Einstellungsuntersuchung verbindlich vorsieht. In allen anderen Ländern gilt inzwischen der TVÖD, der diese Regelung – nicht zufällig – abgeschafft hat!

In § 7 BAT (gilt noch in Hessen und Berlin) ist geregelt:

§ 7 Bundesangestelltentarifvertrag – BAT
Ärztliche Untersuchung

(1) Der Angestellte hat auf Verlangen des Arbeitgebers vor seiner Einstellung seine körperliche Eignung (Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit) durch das Zeugnis eines vom Arbeitgeber bestimmten Arztes nachzuweisen.
(2) Der Arbeitgeber kann bei gegebener Veranlassung durch einen Vertrauensarzt oder das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob der Angestellte dienstfähig oder frei von ansteckenden Krankheiten ist. Von der Befugnis darf nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden.
(3) Angestellte, die besonderen Ansteckungsgefahren ausgesetzt oder in gesundheitsgefährdenden Betrieben beschäftigt sind, sind in regelmäßigen Zeitabständen ärztlich zu untersuchen. Angestellte, die mit der Zubereitung von Speisen beauftragt sind, können in regelmäßigen Zeitabständen ärztlich untersucht werden.
(4) Die Kosten der Untersuchung trägt der Arbeitgeber. Das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung ist dem Angestellten auf seinen Antrag bekannt zu geben.

Auch die Sendeanstalten der ARD, die ebenfalls angegriffen wurden, üben diese Praxis noch, da diese regelmäßig an den öffentlichen Dienst angelehnte Tarifwerke haben.

So hat sich der Sprecher des NDR gegenüber dem Kölner-Stadtanzeiger darauf berufen, dass sich der Sender an der Einstellungspraxis des Öffentlichen Dienstes“ „orientiere“ . Natürlich bedeutet das nicht, dass tarifvertraglich alles erlaubt werden könnte, was ansonsten verboten ist. Trotzdem macht es das das fehlende Unrechtsbewusstsein in Berlin und Hessen sowie bei NDR & Co. nachvollziehbar. Daimler kann sich darauf nicht berufen, denn dort gilt der BAT nun einmal nicht. Der Vergleich mit dem öffentlichen Dienst – und der gezielte Angriff auf Berlin – ist Teil einer clever inszenierten Desinformationskampagne und wird leider von Journalisten fleissig – aber ohne Nachzudenken – mitgezogen.

Das Argument, der Arbeitgeber müsse Arbeitnehmer vor der Einstellung auf die Nachtschichttauglichkeit untersuchen, ist ebenfalls durchsichtig falsch.

In § 6 Abs. 3 ArbZG ist vielmehr folgendes geregelt:

„Nachtarbeitnehmer sind berechtigt, sich vor Beginn der Beschäftigung und danach in regelmäßigen Zeitabständen von nicht weniger als drei Jahren arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Nach Vollendung des 50. Lebensjahres steht Nachtarbeitnehmern dieses Recht in Zeitabständen von einem Jahr zu. Die Kosten der Untersuchungen hat der Arbeitgeber zu tragen, sofern er die Untersuchungen den Nachtarbeitnehmern nicht kostenlos durch einen Betriebsarzt oder einen überbetrieblichen Dienst von Betriebsärzten anbietet.“

Sind berechtigt, nicht verpflichtet.

Daimler und Co versuchen aus solchen Rechten der Mitarbeiter – natürlich aus reiner Fürsorge – Rechte des Arbeitgebers zu machen. Das wird hoffentlich nicht verfangen. Man kann da nur auf die Kollegin Frau Leutheuser-Schnarrenberger hoffen.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
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