Das LAG Berlin-Brandenburg hat im Fall „Emmely“ die fristlose Kündigung einer Kassiererin wegen Einlösen von zwei Leergutbons für gerechtfertigt erachtet und damit einen öffentlichen Sturm der Empörung verursacht. Das eine Klage gegen eine sogenannte Bagatellkündigung keinesfalls aussichtlos ist, zeigt ein aktueller Fall am Landesarbeitsgericht Köln:

Dort hatte eine eine an der Frischebedienungstheke eines Warenhauses beschäftigte Arbeitnehmerin aus der Verkaufsauslage in einer anderen Abteilung zwei Haarspangen im Wert von EUR 1,99 ohne Bezahlung an sich genommen, um die dienstlich vorgeschriebene Kopfbedeckung (Haube) zu befestigen. Dies rechtfertigt nach Ansicht des LAG Köln nicht den Ausspruch der Kündigung, selbst wenn die Dienstkleidung nicht vom Arbeitgeber zu stellen ist.

Die Klägerin war seit dem 9. November 2005 als Fleischereifachverkäuferin in einem Warenhaus  in Heinsberg aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Nach dem letzten Arbeitsvertrag vom 14. Dezember 2007 sollte das Arbeitsverhältnis vom 1. Januar 2008 bis zum 30. April 2008 fortbestehen, wobei als Befristungsgrund der krankheitsbedingte Ausfall einer anderen Mitarbeiterin vereinbart war. Am 26. März 2008 entnahm die Klägerin Klemmhaarspangen mit einem Verkaufswert von EUR 1,99 in der Drogerieabteilung des Warenhauses, um damit die im Dienst vorgeschriebene Kopfbedeckung (Haube) zu befestigen. Sie bezahlte später andere Waren, die sie eingekauft hatte, nicht aber die Haarspangen. Als sie bei Dienstschluss von dem Geschäftsleiter darauf angesprochen wurde, erklärte sie zunächst, sie habe die Bezahlung der Haarspangen vergessen. Nach den Angaben der Arbeitgeberin soll sie später gestanden habe, von Anfang an beabsichtigt zu haben, die Haarspangen nicht zu bezahlen. Auf Veranlassung des Unternehmens unterzeichnete sie am 26. März 2008 eine schriftliche Erklärung, in der es heißt, sie habe die Haarspangen entwendet.

Mit Schreiben vom 28. März 2008 stellte das Warenhaus die Verkäuferin unwiderruflich von der Arbeit frei. Mit Schreiben vom 3. April 2008 kündigte sie nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Das Landesarbeitsgericht Köln gewährte der Klägerin Prozesskostenhilfe für die eingereichte Klage gegen die Kündigung.

„Bei der Beurteilung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung und der hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 3. April 2008 müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden.

Zwar stellt ein Diebstahl des Arbeitnehmers zum Nachteil des Arbeitgebers nach ständiger Rechtsprechung an sich einen Grund auch für eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar (vgl. HWK-Sandmann, Arbeitsrechtskommentar, 3. Aufl., § 626 BGB Rdn. 284 m.w.N.). Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zunächst die Haarspangen aus dienstlichen Gründen an sich genommen hatte, um die vorgeschriebene Kopfbedeckung tragen zu können. Wenn sie anschließend diese Haarspangen mit einem Verkaufspreis von EUR 1,99 anders als die für ihren privaten Verbrauch gekauften Waren nicht bezahlte, so mag dies auf der Vorstellung beruht haben, an sich müsste der Arbeitgeber ihr diese Haarspangen stellen. Diese Ansicht war durchaus vertretbar, da auf das Arbeitsverhältnis kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung und kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW vom 10. Februar 2006 Anwendung findet, der unter § 22 vorsieht, dass der Arbeitgeber kostenlos dem Arbeitnehmer die Kleidung zu stellen hat, die aufgrund Gesetz, Verordnung oder Vorschriften der Berufsgenossenschaft oder des Arbeitgebers zu tragen ist. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, sie habe angeordnet, dass Hauben an der Frischebedienungstheke zu tragen seien. Zur Kleidung müssen auch die zum Tragen erforderlichen Hilfsmittel wie Gürtel oder Spangen gehören.

Abgesehen davon ist auch bei einer Kündigung wegen einer Straftat stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten und die erforderliche Interessenabwägung vorzunehmen. Bei letzterer sind Verschuldensgrad und Schadenshöhe zu gewichten (vgl. HWK-Sandmann, a.a.O., § 626 BGB Rdn. 285).

Im Hinblick auf diese Erwägungen kann der Klage gegen die Kündigung vom 3. April 2008 nicht die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden.“

Arbeitnehmer sollten sich also durch das Urteil des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg nicht von einer Klage bei Bagatellkündigung abhalten lassen. Es gibt durchaus Arbeitsgerichte, die die Rechtslage differenziert betrachten.

Quelle: Landesarbeitsgericht Köln, Beschluß vom 16.12.2008 – 9 Ta 474/08, via Justiz.NRW.de

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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