6 Wochen Urlaub für alle! So lässt sich der aktuelle Trend in der Rechtsprechung zusammenfassen. Grund: In zahlreichen Tarifverträgen (TVÖD, TV-L, Einzelhandel, …) hängt die Dauer des Jahresurlaub s vom Lebensalter ab. Dahinter steckt der Gedanke, dass man im Alter eine längere Erholungsphase braucht und jüngere Menschen belastbarer sind.

Vor kurzem hat das LAG Düsseldorf (Urteil vom 18.01.2011, Aktenzeichen 8 Sa 1274/10) allerdings entschieden, dass die im Manteltarifvertrag Einzelhandel in NRW nach Alter gestaffelte Urlaubsregelung eine unzulässige Diskriminierung jüngerer Mitarbeiter darstellt und gegen § 10 AGG verstößt. Dass auch jüngere Arbeitnehmer „altersdiskriminiert“ werde können, hatte der EuGH schon bei den gesetzlichen Kündigungsfristen (§ 622 BGB) entschieden. Das LAG Düsseldorf ließ auch das Argument nicht gelten, die Staffelung beim Urlaub diene der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Die Folge: Jeder Arbeitnehmer im Geltungsbereich des MTV Einzelhandel NRW kann jetzt 6 Wochen Urlaub verlangen.

Es könnte für Arbeitgeber noch dicker kommen, weil viele Tarifverträge, auch im öffentlichen Dienst, entsprechende Unterschiede nach Alter beim Urlaub vorsehen. Auf die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes könnte daher jetzt eine Klageflut zukommen.

Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 24.03.2010 Aktenzeichen 20 Sa 2058/09) hatte allerdings anders als das LAG Düsseldorf im Einzelhandel keine Bedenken, die Staffelung in § 26 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Gemeinden – TVÖD VkA zu akzeptieren (praktisch identisch mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder – TV-L und anderen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes). Zwar diskriminiere die Staffelung nach Lebensalter jüngere Beschäftigte, das sei aber gerechtfertigt.

Inhaltliche Unterschiede weisen beide Regelungen (TVÖD/TV-L bzw. MTV Einzelhandel NRW) nicht auf:

§ 26 TVÖD Erholungsurlaub

Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr

bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage,
bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und
nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage.

§ 15 MTV Einzelhandel NRW

Absatz 3:

Der Urlaub beträgt im Kalenderjahr

bis zum vollendeten 20. Lebensjahr 30
nach dem vollendeten 20. Lebensjahr 32
nach dem vollendeten 23. Lebensjahr 34
nach dem vollendeten 30. Lebensjahr 36 Werktage.

Wenn zwei sich streiten, freut sich ein Dritter: Beim Bundesarbeitsgericht ist unter dem Aktenzeichen 9 AZR 529/10 die Revision gegen das Urteil des LAG Brandenburg anhängig. Es ist daher noch 2011 mit einer Entscheidung in dieser Frage zu rechnen. Vermutlich wird der 9. Senat die Sache aber nicht selbst entscheiden können, sondern entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts den EuGH anrufen müssen, weil die Entscheidung (letztlich) von der Auslegung einer EU-Richtlinie abhängt.

Was können, müssen Mitarbeiter tun? Da die Ungleichbehandlung nur durch die Besserstellung der benachteiligten Gruppe behoben werden kann: Am besten den Mehrurlaub (30 Tage nach TVÖD bzw. 36 Werktage nach MTV Einzelhandel NRW) schon jetzt bei der Urlaubsplanung 2011 beantragen und bei Ablehnung fristgerecht (es sind die tariflichen Verfallfristen zu beachten) Klage einreichen. Im Einzelfall kann sicher auch noch der Urlaub 2010 geltend gemacht werden. Bei Urlaubsstaffeln im Arbeitsvertrag ist die Rechtslage vergleichbar. Betroffene Beschäftigte (bundesweit sind Millionen jüngere Beschäftigte alleine im öffentlichen Dienst betroffen) sollten einen mit dem Arbeitsrecht versierten Anwalt aufsuchen.

Sinnvoll wäre auch, wenn die Arbeitgeber mit Rücksicht auf die zu erwartende Klärung durch BAG oder EuGH solange auf Verfall und Verjährung verzichten würden, damit die Arbeitsgerichte keine Klageflut befürchten müssen.

Ein Musterschreiben für die Geltendmachung werden wir morgen hier veröffentlichen. Unsere Anwälte machen auch bundesweit für Betroffene entsprechende Ansprüche geltend. Beachten Sie, dass auch unsere Juracity Urlaubsrecht Vertrauensanwälte vor Ort für Sie tätig werden können.

Personalräte können das Urteil und die Folgen in unserem Personalräteforum mit uns diskutieren, Betriebsräte in dem Betriebsräteforum.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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