Ja, auch wenn es so aussieht, als ob die GdL das bekommen hätte, was Sie gefordert hat.

Eben nicht ganz.

Die GdL hat ursprünglich einen Fahrpersonaltarifvertrag gefordert, also einen eigenständigen und vollständigen Tarifvertrag für Lokführer und das andere Fahrpersonal (Zugbegleiter).  Dieser wäre nur mit ihr vereinbart worden und hätte neben dem für das gesamte Bahnpersonal einschliesslich der Lokführer und Zugbegleiter geltenden Tarifvertrag gestanden, den die Bahn mit transnet und GDBA vereinbart hatte. Es hätte also bei der Teilgruppe der Lokführer und Zugbegleiter eine Überschneidung und damit einen Konflikt mit der Tarifeinheit gegeben.

Die Lokführer und Zugbegleiter, die Mitglied der GdL sind, hätten einen anderen Tarifvertrag bekommen als die Lokführer und Zugbegleiter, die Mitglieder bei transnet und GDBA sind. Hier lag das Problem. Es hätte nämlich zwei miteinander konkurrierende Tarifvereinbarungen für einen Teil des Personals (Lokführer und Zugbegleiter) gegeben.

Dies hätte die bei Juristen umstrittene Frage aufgeworfen, ob ein Tarifvertrag den anderen für die Gruppe der Lokführer und Zugbegleiter verdrängt (nach dem Grundsatz der Spezialität verdrängt der speziellere Tarifvertrag den allgemeineren unter Erhalt der Tarifeinheit) oder ob beide nebeneinander gelten und von der Bahn je nach Gewerkschaftszugehörigkeit eben unterschieden werden muss (unter Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit). Die Lokführer und Zugbegleiter hätten in diesem Fall natürlich genau verglichen und den besseren gewählt, sprich: die Gewerkschaft gewechselt.

Das jetzt zwischen Bahn und GdL in Eckpunkten vereinbarte Modell vermeidet diese Entwicklung und beugt sogar einem weiteren Auseinanderbrechen der Belegschaft vor. Jede Berufsgruppe bei der Bahn – insgesamt sechs – bekommt zukünftig einen eigenen Tarifvertrag für die Regelungsgegenstände Arbeitszeit und Entgelt. Die anderen Regelungsgegenstände wie Urlaub, Kündigungsfristen, Ausschlußfristen, Entgeltfortzahlung etc. werden in einem Basistarifvertrag geregelt (könnte man auch als Mantel- oder Rahmentarifvertrag bezeichnen).

Also bekommt die GdL doch einen eigenen Tarifvertrag. Nein. Die GdL wird den einen Arbeitszeit- und Entgelttarifvertrag für die Lokführer zwar verhandeln, aber er wird für alle Lokführer gelten, weil GDBA und transnet diesen auch unterzeichnen werden. Es gibt also weiterhin nur einen einzigen Tarifvertrag für alle Lokführer bei der Bahn und nicht – wie wenn die GdL ihr ursprüngliches Ziel erreicht hätte – den allgemeinen Tarifvertrag   neben dem spziellen Lokführertarifvertrag. Das ist die entscheidende und intelligente Lösung, die der Kompromiss bietet. Und alle wahren ihr Gesicht.

Ausserdem, wenn auch nicht von strategischer Bedeutung, macht die GdL nur noch Ansprüche auf die Lokführer geltend und nicht mehr auch für die Zugbegleiter. Mehdorn hat dafür eingesehen, dass er zukünftig mit allen verhandeln muss und bei den Lokführern zukünftig die GdL sein massgeblicher Ansprechpartner sein wird.

Bei einer Einigung ist übrigens auch damit zu rechnen, dass die Schadensersatzklage gegen die GdL ad acta gelegt wird. Man kann nur hoffen, dass nicht die Kleinen die Zeche zahlen müssen und dass auch geregelt wird, dass die Lokführer, die möglicherweise etwas im Streikeifer über die Stränge geschlagen haben, auch straflos gestellt werden und die Bahn die Kündigungen zurücknimmt.

Möglicherweise haben die Streithähne sogar ein Modell gefunden, dass in anderen Branchen Konflikte mit dem Prinzip der Tarifeinheit zu vermeiden hilft und trotzdem den – wie der Verdi Vorsitzende Bsirske gesagt hat – speziellen Berufsgruppen mehr Geltung verschafft.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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