Der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 27.01.2010 – 4 AZR 549/08 (A) -) beabsichtigt, den bisher vom BAG hochgehaltenen, aber umstrittenen Grundsatz der Tarifeinheit zu kippen. Nach diesem – im Tarifvertragsgesetz nicht ausdrücklich normierten – Prinzip soll in einem Betrieb für einen bestimmten Regelungsgegenstand stets nur ein Tarifvertrag („Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“) zur Anwendung kommen. Das BAG leitete bisher den Grundsatz der Tarifeinheit aus den übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ab und gab diesen den Vorrang vor der Tarifautonomie. Durch die Tarifeinheit wurden nicht nur Fälle der Tarifkonkurrenz, sondern auch solche der Tarifpluralität dahin gelöst, dass in einem Betrieb nur der speziellere von mehreren Tarifverträgen zur Anwendung kommt. Beim Bahnstreik haben Gerichte den Streiks der GdL dieses Prinzip entgegengehalten und damit die Streiks der Lokführergewerkschaft verboten. Das war zwar auch falsch, denn die Tarifeinheit hindert eine Gewerkschaft nicht, sich um einen spezielleren Tarifvertrag zu bemühen. Das Streikrecht wird dadurch nicht eingeschränkt, worauf wir an anderer Stelle (Beitrag zum Bahnstreik im Blog) hingewiesen haben. Die Folgen dieser Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts wären gleichwohl unübersehbar: Sie könnte die gesamte Tariflandschaft ändern und führt in Betrieben dazu, dass für verschiedene Berufsgruppen und Gewerkschaftsangehörige unterschiedliche Tarifregelungen gelten. Sie stellt ausserdem die Praxis vor viele Probleme, z.B. den Betriebsrat oder Personalrat, weil deren starke Mitbestimmungsrechte nur gelten, soweit keine tarifliche Regelung (welche?) vorliegt. Die Klauseln in Arbeitsverträgen, die die Anwendung des „jeweils geltenden Tarifvertrages“ für nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer regeln, wären auf einmal unklar und müssten geändert werden.
Quelle: Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 27.01.2010 – 4 AZR 549/08 (A)
Hintergrundinfos auf Tarifeinheit.de und auf unserem Blogbeitrag zur Tarifeinheit.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Experte auf Tarifrecht.de