Die Kandidaten, welche heute abend zur neuen Staffel der Entertainment-Überwachung in das „Big Brother“-Haus einziehen, wissen, daß Sie permanenter Überwachung unterstehen und tun dies freiwillig – George Orwell zeichnete eine düstere Zukunft (1984) und inspirierte wohl zur Namensgebung.
Der Bundesgerichtshof erteilte mit der heute veröffentlichten Entscheidung vom 31.01.2007 den Ermittlern und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eine Absage: Das heimliche Ausspionieren der Festplatte ist unzulässig.
In der Frage Kampf gegen Straftaten – Ermittlung begangener Straftaten, als auch der Vorbeugung – versus Schutz des Bürgers vor Überwachung – hatte der Bundesgerichtshof sich zuletzt in zwei gegenläufigen Entscheidungen mit der Frage zu befassen, ob Ermittlungsbehörden ohne Wissen des Betroffenen gespeicherte Inhalte auf Computern auswerten dürfen, indem mittels eines „Bundestrojaners“ – ein dem Tatverdächtigen zugespieltes, spezielles virusgleiches Programm – der Datenbestand auf elektronischem Wege (online) auf Datenverarbeitungseinrichtungen der Ermittler zum Zwecke der Auswertung kopiert werden.

Während die Bundesregierung die Online-Durchsuchung als unverzichtbares Instrument der Strafverfolger und Verfassungsschützer bezeichnet, deren Vorteil gegenüber einer „offenen Durchsuchung“ eines Rechners vor Ort darin liege, daß die Beschuldigten von den gegen sie geführten Ermittlungen keine Kenntnis haben und die „Aufdeckung von Täterstrukturen“ nicht erschweren oder gar vereiteln können, sah der Bundesgerichtshof hierin genau die Grundlage der Unzulässigkeit.
Im Februar hatte der Ermittlungsrichter des BGH (3 BGs 31/06 vom 21.02.2006) noch die Suche nach elektronisch gespeicherten Daten der „Durchsuchung“ i. S. der §§ 102 ff. StPO (also Durchsuchung in Wohnräumen, Büro, Auto und dergleichen) gleichgestellt, an deren Zulässigkeit auch bei heimlicher Durchführung ohne Wissen des Betroffenen unter Einsatz einer speziell hierzu konzipierten Software keine Bedenken gehabt.
Demgegenüber verweigerte ein anderer Ermittlungsrichter des BGH den in einem Strafverfahren wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten durch den Generalbundesanwalt beantragten Beschluß mit Entscheidung vom 25. 11. 2006 (1 BGs 184/2006), da es sich um einen schweren Eingriff persönliche Freiheitsrechte – das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – handele.
Obwohl es „nach derzeitigem Ermittlungsstand“ naheliegt, „dass auf dem
Computer verfahrensrelevante Informationen abgespeichert sind“, verwarf der BGH nunmehr die Beschwerde der Generalbundesanwaltschaft, da es an einer gesetzlichen Grundlage fehle.
Die Vorschriften über Durchsuchungen bei Beschuldigten (in §§ 102 ff. StPO) seien nicht anwendbar, da die rechtmäßige Durchsuchung die „körperlichen Anwesenheit der Ermittlungsbeamten“ vor Ort voraussetze und als „offene Durchsuchung“ dem Beschuldigten Schutzrechte zubilligt, etwa das Recht des Inhabers der zu durchsuchenden Räume oder Gegenstände, der Durchsuchung beizuwohnen, bei Abwesenheit vertreten durch einen Familienangehörigen oder Nachbarn. Dies setze jedoch voraus, daß die Durchsuchung als Ermittlungsmaßnahme erkennbar sei. Ferner verlangt § 105 Abs. 2 StPO bei einer (wie zumeist) ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindenden Durchsuchung der Wohnung oder von Geschäftsräumen nach Möglichkeit die Beiziehung eines Gemeindebeamten oder zwei Gemeindemitgliedern – welche nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein dürfen. Dem Beschuldigten ist bei Beendigung auf Verlangen eine schriftliche Durchsuchungsbescheinigung auszuhändigen, um ihm unmittelbar nach Beendigung über den Grund zu informieren und Gelegenheit zu deren Überprüfung zu ermöglichen.
Hierbei handele es sich um „Pflichten der Ermittlungsorgane“ von deren Beachtung die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung abhänge – nicht lediglich zur beliebigen Disposition der Ermittlungsorgane stehende Vorschriften, da eine Maßnahme nicht von vorneherein darauf zielen darf, bei ihrer Umsetzung den Betroffenen schützende Ordnungsvorschriften auf jeden Fall unberücksichtigt zu lassen. Die im Gesetz enthaltenen Einschränkungen „wenn möglich“beziehe sich auf tatsächliche Schwierigkeiten, welche den Durchsuchungserfolg gefährden würden („so etwa bei der überraschend notwendig gewordenen Durchsuchung einer einsamen Hütte im Wald.“ [so der angefochtene B. vom 25. 11. 2006 -1 BGs 184/2006])
Die verdeckte Online-Durchsuchung sei auch nicht weniger belastend, als eine offen durchgeführte, da bei letzterer die Möglichkeit der Begrenzung der Dauer und Intensität der Durchsuchung durch Herausgabe der gesuchten Gegenstände, sowie Kontrolle der Art und Weise, sowie der Grenzen des Durchsuchungsbeschlusses – ggfs. durch anwaltlichen Beistand – vor Ort bestehe.

Auch die Vorschriften über Ermittlungsmaßnahmen mit technischen Mitteln (Telefon- und e-mail-, Wohnraum- und Bildüberwachung) seien zur Begründung nicht geeignet.
Deren Zulässigkeit hänge– gerade wegen der Heimlichkeit – von hohen formellen und materiellen Anforderungen an Anordnung und Durchführung ab: Diese dürfen nur beim Verdacht bestimmter, im Gesetz ausdrücklich genannter schwerer Straftaten angeordnet werden und nur, wen anderweitige geeignete Aufklärungsmittel nicht vorhanden sind und nicht „in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung“ eingegriffen wird (vgl. §§ 100a bis 100 i StPO).
Derartige hohe Anforderungen bestehen für die Anordnung einer Durchsuchung beim Verdächtigen nicht; vielmehr genügt der Anfangsverdacht einer beliebigen Straftat und die Durchführung, sowie der Umgang mit den erhaltenen Daten sind nicht annähernd streng geregelt.
Hingegen sei unerheblich, daß die Daten ähnlich sensibel und schutzwürdig seien, wie das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort, die Durchsicht einer Vielzahl unterschiedlicher Daten als ein besonders schwerwiegender Eingriff in das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung erscheine, da die Auswertung von bei einer „normalen“ (=offenen) Durchsuchung beschlagnahmten elektronischen Datenträgern unzweifelhaft zulässig sei.
Auch § 100 a StPO (Telefonüberwachung) könne nicht zur Begründung herangezogen werden:
Zwar wurde das Argument des ablehnenden Beschlusses (1 BGs 184/2006), es seien nicht nur im Rahmen von Kommunikationsvorgängen (mit Dritten) übertragene Daten, sondern die Gesamtheit aller gespeicherten Daten Ziel der Durchsuchung (der Trojaner soll eine Kopie der Speicherinhalte übermitteln), so daß die nach dieser Vorschrift gestattete Überwachung von Telekommunikationsvorgängen (einschließlich Telefax und e-mail) nicht, bzw. allenfalls zufällig betroffen sei, sowie der dort ferner enthaltene Hinweis, die Erlaubnis zur Kommunikationsüberwachung sei bereits deshalb nicht heranzuziehen, weil nach der Rechtsprechung des BVerfG die Kommunikation mit Abspeicherung der Daten abgeschlossen sei, findet sich im Beschluß nicht wieder.
Dafür begründet der BGH, es werde gerade nicht eine bestehende Datenübertragung überwacht, sondern überwacht, sondern zielgerichtet eine umfassende Übermittlung der auf dem Zielcomputer gespeicherten Daten erst von den Ermittlungsbehörden initiiert.
Die Vorschriften der Wohnraumüberwachung sei ebenfalls nicht zur Begründung geeignet, da eben nicht das in der Wohnung gesprochene Wort überwacht werde, sowie die Überwachung mittels technischer Mittel (Peilsender) nur die Observation außerhalb der Wohnungen gestatte.
Da es an einer gesetzlichen Grundlage fehle, war der beantragte Beschluß auf Genehmigung der Online-Durchsuchung abzulehnen und die Beschwerde zu verwerfen.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshof Nr. 17/2007, vom 05.02.2007, Beschluß StB 18/06 vom 31.01.2007

Frings
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht
SKFH – Schlegelmilch Kremer Frings Hellmig
www.skfh.eu

Anmerkung:
Auch wenn die Ermittler entsetzt aufstöhnen: Der Beschluß ist zu begrüßen.
Der unbescholtene Bürger wird – wie oftmals – die Tragweite nicht erkennen, getreu dem Motto: Wenn ich nix gemacht habe, habe ich nix zu befürchten…
Indes: So einfach ist es denn nicht. Auch wenn die verdeckte Online-Durchsuchung sicherlich nur auf schwere und Schwerstkriminalität abzielt, ist der Gefahr der ungehemmten Datenauswertung Tür und Tor geöffnet. Die Kommunikation verlagert sich zunehmend auf die Nutzung elektronischer Medien und des Internet. Vielfach werden Unmengen von persönlichen Daten auf den Festplatten des Computers abgelegt, ob daheim oder im Büro: Lebenslauf, Bankdaten usw., manchmal das halbe Leben.
Den Ermittlern fallen demnach nicht nur etwaig verfahrensrelevante Daten in die Hände, welche – selbst bei Begrenzung auf bestimmte schwere Straftaten als Anlaßtaten – auf strafbare Handlungen hinweisen, vor den Ermittlern wird der Computer zur transparenten Damenhandtasche (in welcher sich vielfach – die Damen mögen’s verzeihen – das halbe Leben befindet).
Der BGH hat auf die Voraussetzungen für Durchsuchungsbeschlüsse für Wohnungen (Autos etc.) hingewiesen. Indes nicht ausführlich hat der BGH auf den Inhalt der für „normale“ Durchsuchungen geltenden Anordnungen hingewiesen, obwohl dies nicht außer Betracht zu lassen sein dürfte:
Danach sind die zu suchenden Beweismittel im Durchsuchungsbeschluß möglichst genau bezeichnen, jedenfalls so genau, daß die Durchsuchungsbeamten wissen, wonach sie suchen sollen. Nicht gestattet ist, „auf’s Geratewohl“ nach allem zu suchen, was für irgendwelche Ermittlungen geeignet ist.
Zwar ist dabei nicht ausgeschlossen, daß im Rahmen der Durchsuchung auch weitere, aus anderen Straftaten herrührende Gegenstände aufgefunden werden (sogenannte Zufallsfunde), welche sodann die Einleitung eines Strafverfahrens wegen der zugrunde liegenden etwaigen (weiteren) Straftat nach sich ziehen und im Rahmen dessen auch verwertet werden dürfen.
Indes ist die Abgrenzung bei „Online-Durchsuchungen“ schwierig, da hier aufgrund der Eigenart der „digitalen Inhalte“ eine Eingrenzung bei der Durchsuchung nach zu suchendem und verfahrensirrelevanten Inhalten von vorneherein nicht möglich ist, so daß zwangsläufig bei der Durchsuchung der verfügbaren Speichermedien die Suche nicht eingegrenzt werden kann, sondern alle gespeicherten Inhalte offenbart werden.
Auf der Suche nach Dokumenten mit inkriminiertem Inhalt oder etwa Datenbanken von Onlinebankingprogrammen lässt sich die Auffindung von etwa unter Verstoß gegen Urheberrechte illegal heruntergeladener Musik- oder Videodateien gar nicht vermeiden, jedenfalls nicht, soweit nicht spezielle Software eingesetzt wird.
Eine derartige Lösung ist beispielsweise im Bereich der Auswertung von Rechnern bei Verdacht auf kinderpornographische Inhalte vorhanden. Eine spezielle Software vergleicht automatisiert die Daten mit in einer Datenbank gespeicherten „digitalen Fingerabdrücken“ von bereits als illegal erkannten und in die Datenbank eingepflegten Inhalten.
Solange jedoch nicht eine automatisierte Untersuchung durch entsprechende Software erfolgt, müssen zwangsläufig sämtliche Dateninhalte in Augenschein genommen werden. Eine inhaltliche Begrenzung der zu suchenden Daten, wie für „normale“ Durchsuchungen auf bestimmte Beweisgegenstände, erscheint kaum durchführbar.
Zugegeben: Das Problem stellt sich ähnlich bei Auswertung herkömmlich sichergestellter Datenträger. Doch kann hier in der Regel – wie der BGH für herkömmliche, offene Durchsuchungen ausführt – auch die Beschränkung der Auswertung, etwa durch freiwillige Offenbarung, etwa Bezeichnung der Dateien, herbeigeführt werden. Die Maßnahme ist eben offen. Und sie ist unmittelbar überprüfbar – gegebenenfalls (aufgrund der für die Sichtung aufgrund der Datenmenge erforderlichen Zeit) noch vor der Auswertung.

Die entsprechenden Pläne der Bundesregierung mit dem „Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit“ (PSIS) [Pendant: das nordrhein-westfälischen Verfassungschutzgesetz] mögen im Hinblick auf Schwerstkriminalität und Terrorabwehr hehre Ziele verfolgen; andererseits darf der Schutz der in der Verfassung garantierten Freiheits- und Persönlichkeitsrechte nicht auf der Strecke bleiben. Auch der „unbescholtene“ Bürger kann anderenfalls der Gefahr des gläsernen Datengrab anheimfallen.
Indes darf verwundert auf die andere – ebenfalls hoheitlich geförderte – Seite geschaut werden:
Beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein wird das Projekt „AN.ON – Anonymität.Online“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert. Wie der Name bereits sagt, soll Internetschnüfflern die „rote Karte“ gezeigt werden. Zugegeben: Schnüffler ist nicht ein abwertender Ausdruck für Ermittlungsbehörden, sondern hat vielmehr Gauner und Ganoven im Sinn. Durch (vereinfacht) mehrfache Umleitung soll der Internetnutzer nicht zu ermitteln sein und anonym durchs Netz surfen.
Gleichwohl– Förderung gut und schön – machten auch hier Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) 2003 nicht halt und beschlagnahmten, ebenso wie im September 2006 erneut kurzerhand einen Server, um die Nutzerdaten von Tatverdächtigen zu ermitteln.

Hätte der BGH anders entschieden, wäre für den Fall der Zulässigkeit der verdeckten Online-Durchsuchung nach hiesiger Einschätzung auch die Frage klärungsbedürftig gewesen, wie – in technischer, wie rechtlicher Hinsicht – sicherzustellen ist, daß nicht Dritte durch die Maßnahme betroffen werden, etwa bei Nutzung des Rechners durch unbeteiligte Personen. Welche Vorkehrungen werden gegen eine unbeabsichtigte Verbreitung des Trojaners getroffen und was hätte in einem solchen Fall zu passieren, wenn unbeteiligte Personen „Opfer“ des Bundestrojaners werden.

Fazit: Heimlich spionieren darf der Staat nicht – zumindest nicht auf Basis der (noch) bestehenden Gesetze. Noch nicht…

Frings
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht
SKFH – Schlegelmilch Kremer Frings Hellmig
www.skfh.eu

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