Ein Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn (ArbG Paderborn, Urteil vom 22.03.2006 – 3 Ca 1947/05) macht in der Presse Furore. Das Urteil liegt naturgemäss erst in einigen Wochen im Vollext vor, bezugnehmend auf eine Meldung der dpa beschäftigen sich allerdings schon jetzt verschiedene Zeitungen damit.

Die papierne „Welt“ sprach dabei mit dem „Amtsgerichtsdirektor“, der allerdings in der wahren „Welt“ ein Arbeitsgerichtsdirektor sein muss. Allerdings scheint den Fehler bereits die dpa eingebaut zu haben, wie sich aus den gleichlautend falschen Meldungen ergibt. Die wiederum scheint das unreflektiert bei der „Neuen Westfälischen“ abgeschrieben zu haben. Aber immerhin haben es auch die Redaktionen der „Welt“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ nicht gemerkt. Dies nur als kleiner Seitenhieb auf die Kritik etablierter Medien am „Graswurzeljournalismus“ der Weblogs.

Auch die offenkundige Aufgeregtheit der Medien über das Urteil befremdet Sachkundige jedoch, ehrlich gesagt.

Was ist passiert? Das Arbeitsgericht hat eine Kündigung eines 70-jährigen Autoverkäufers für unwirksam erklärt und dabei die Wirksamkeit der Kündigung ganz normal – also wie gesetzlich vorgeschrieben – nach § 1 KSchG anhand der dort genannten vier Sozialkriterien (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) geprüft. Der Verkäufer hatte mit 59 Jahren dort angefangen und scheinbar so gut gearbeitet, dass der Arbeitgeber entschied, ihn auch nach Erreichen des Rentenalters weiterzubeschäftigen. So schaffte der gute Mann bis zum 70., dann sollte er jüngeren weichen.

Aufgrund der immerhin 11-jährigen Betriebszugehörigkeit und des vergleichsweise hohen Lebensalters war das Gericht der Meinung, dass die Sozialauswahl auf einen anderen Autoverkäufer hätte fallen müssen. Das führt im Kündigungsrecht stets zur Unwirksamkeit der Kündigung. Da der erfahrene Autoverkäufer offenbar auch keine Abfindung wollte oder der Arbeitgeber kein entsprechendes Angebot machte, wurde das Autohaus zur Weiterbeschäftigung verurteilt (vgl. zur Weiterbeschäftigung im Kündigungsrecht mein Interview in der Süddeutschen vom 25.11.2005: „Abfindung Nein Danke!“)

Der Fall ist keinesfalls sensationell. Wenn ein Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag das vorsieht, scheiden Arbeitnehmer mit der Möglichkeit, die Regelaltersrente zu beziehen, automatisch aus. „Einzelvertraglich vereinbarte Altersgrenzen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Zeitpunkt des Erreichens der sozialversicherungsrechtlichen Regelaltersgrenze vorsehen, sind zulässig. Die hierin liegende Befristung des Arbeitsverhältnisses ist durch einen sachlichen Grund iSv. § 14 Abs. 1 TzBfG gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Beschäftigung eine gesetzliche Altersrente erwerben kann. Hat bei Vertragsschluss die Möglichkeit zum Aufbau einer Altersrente bestanden, ist die Befristung auch wirksam, wenn der Arbeitnehmer eine andere Versorgungsform wählt.“ so bestätigte erst kürzlich das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 27.07.2005 – 7 AZR 443/04) seine bisherige Rechtsprechung. Um diesen Fall ging es aber nicht, denn das Autohaus hatte den Autoverkäufer ja bewusst über das 65. Lebensjahr hinaus weiterbeschäftigt. Damit wird er nicht zum Arbeitnehmer zweiter Klasse. Der Fall ist wegen der Weiterbeschäftigung über die Rentengrenze hinaus so zu bewerten wie eine Neueinstellung als Rentner. Auch dort gilt das normale Arbeitsrecht. Das Autohaus wollte den Verkäufer ja trotz seiner Rente zunächst weiterbeschäftigen.

Das Autohaus wollte Jahre später das Team verjüngen. Der E r h a l t einer bestimmten Alterstruktur kann auch durchaus ein Abweichen von der klassischen Sozialauswahl erlauben, nicht dagegen eine Verjüngungskur. Diese würde dann nämlich periodisch möglich sein (z.B. alle 10 Jahre) und damit die Wertung des Kündigungsschutzgesetzes völlig leerlaufen lassen. Für Ältere Arbeitnehmer (in „jungen“ Lifestylebranchen ja bereits ab 25 bis 30 Jahren) würde dann das Kündigungsschutzgesetz nicht mehr gelten.

Also: kein Grund zu medialer Aufgeregtheit. Auch Rentner können Arbeitnehmer sein; für ältere Arbeitnehmer gelten KSchG und Art. 12 GG genauso wie für Jüngere. Und das EU-Recht verbietet sogar eine Diskriminierung Älterer, auch und gerade im Arbeitsleben.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser
http://www.kuendigung.de

P.S.: Spannender wäre da schon der Fall, in dem das Bundesarbeitsgericht der Meinung war, bei nachträglicher Korrektur (Vorverlegung natürlich!) des falsch angegebenen Geburtsdatum durch ein ausländisches Gericht werde das zum Ausscheiden führende Rentenalter nicht am sich aus diesem Urteil ergebenden „echten“ Geburtstag erreicht, sondern nach wie vor am „falschen“, der sich aus den ersten Angaben gegenüber dem Sozialversicherungsträger ergibt.

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