Befristeter Vertrag für Lehrer? Immer mehr Lehrer werden in NRW als Vertretungslehrer unzulässigerweise über Jahre und mit zahlreichen befristeten Arbeitsverträgen (Kettenbefristung) im Rahmen eines „Gesamtvertretungskonzeptes“ an Schulen eingesetzt. Teilweise laufen die befristeten Verträge (bezogen auf ein Schuljahr) über mehr als zehn Jahre und mit mehr als zehn befristeten Arbeitsverträgen. Diese Praxis der Bezirksregierung in NRW ist nach neueren Entscheidungen des EuGH, LAG Düsseldorf, LAG Köln und des Bundesarbeitsgerichts rechtsmissbräuchlich.
So hat das Bundesarbeitsgericht 2012 entschieden:
„Der Senat lässt es nunmehr dahingestellt, ob an dem Rechtsinstitut der schuljahresbezogenen Gesamtvertretung festzuhalten ist, welche Modifikationen gegebenenfalls vorzunehmen sind und welche schulorganisatorischen Einheiten für die Anwendung dieses Rechtsinstituts gegebenenfalls in Betracht kämen. Jedenfalls setzt eine Gesamtvertretung eine Beurteilung des schuljahresbezogenen Gesamtvertretungsbedarfs voraus. Dazu hat das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall keine Feststellungen getroffen.“
Rechtsfolge ist die Unwirksamkeit der letzten Befristung. Allerdings muss der Lehrer dazu den letzten befristeten Vertrag innerhalb von drei Wochen nach dem letzten Arbeitstag (Ende der Befristung) mit der sog. Befristungskontrollklage angreifen, sonst wird die an sich unwirksame Befristung wegen Fristablaufs als wirksam behandelt.
Auch die Schulträger haben, wie sich aus einem Erlass des MSW in NRW ergibt, inzwischen erhebliche Bauchschmerzen wegen der geänderten Rechtslage und überprüfen die Problematik. Da allerdings viele Referendare eingestellt werden müssen, ist nicht damit zu rechnen, dass man betroffenen Vertretungslehrern freiwillig eine Weiterbeschäftigung mit unbefristetem Vertrag anbietet. Eher ist damit zu rechnen, dass man den befristeten Vertrag auslaufen lässt und darauf hofft, dass die betroffenen Lehrer nicht rechtzeitig Klage einreichen.
Jedenfalls dann, wenn der Lehrer länger als sieben Jahre mit mehreren befristeten Verträgen immer im gleichen Fach an derselben Schule beschäftigt war, dürfte nach einer Entscheidung des LAG Düsseldorf die Kettenbefristung rechtsmißbräuchlich sein.
Update 2014 – Rechtsmissbrauch mehrfacher Befristungen:
Im Falle einer Lehrerin, die
„vom 30.07.2007 bis zum 31.01.2013 ohne zeitliche Unterbrechungen aufgrund von insgesamt 14 mit dem beklagten Land, vertreten durch das Schulamt für den R geschlossenen befristeten Arbeitsverträgen als Lehrkraft in Teilzeit an der katholischen Grundschule „Am B “ in P beschäftigt.“
hat das Landesarbeitsgericht Köln im Januar 2014 entschieden, dass die Befristung rechtsmissbräuchlich war.
„Bei der konkreten Bewertung des Streitfalls muss festgestellt werden, dass sowohl die Höchstdauer von zwei Jahren als auch die Möglichkeit der3-maligen Verlängerung bei einer sachgrundlosen Befristung erheblich überschritten wurden. Auch wenn man die Dauer von 5,5 Jahren in der ununterbrochenen Beschäftigung unter dem Aspekt des Sachgrunds der Vertretung noch als vertretbar bezeichnen mag, so übersteigt die Anzahl der 14 Befristungsabreden in dieser Zeit den gesetzlichen Richtwert besonders gravierend und kennzeichnet gerade in der Kumulation den Rechtsmissbrauch des Einsatzes der Befristung. Völlig zu Recht hat das Arbeitsgericht dabei auch die Tatsache berücksichtigt, dass die Klägerin während der gesamten Zeit stets auf dem selben Arbeitsplatz mit den selben Aufgaben als Lehrerin an der katholischen Grundschule „Am B “ in P beschäftigt wurde und die vereinbarten Befristungsabschnitte von regelmäßig 5 bis rund 8 Monaten zeitlich hinter dem absehbaren Vertretungsbedarf zurückblieben. Dies zeigt sich gerade auch bei der letzten Befristung wegen der Elternzeit der zu vertretenden Kollegin, die auch über das Befristungsende am 31.01.2013 hinaus fortbestanden hat.“
(Landesarbeitsgericht Köln – Urteil aus Januar 2014, rechtskräftig)
Die meisten Vertretungslehrer werden über zig Jahre mit zahlreichen befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt. Übersteigt die Gesamtdauer ein Mehrfaches des Schwellenwertes nach § 14 TzBfG (zwei Jahre) und/ oder ein Mehrfaches der Zahl der Verlängerungen (drei Verlängerungen) kann Rechtsmissbrauch auch dann vorliegen, wenn an sich ein sachlicher Grund für die Befristung besteht. Die Gerichte nehmen dann einen Dauerbedarf an.
Lehrer sollten unbedingt vor der Unterzeichnung eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages eine qualifizierte Rechtsberatung aufsuchen. Die Unterzeichnung eines neuen befristeten Arbeitsvertrages heilt u.U. Mängel der letzten Befristung. Im Falle eines Mandanten von war die Personalratsbeteiligung (in NRW ist die Befristung mitbestimmungspflichtig) nicht ordnungsgemäß.
Update September 2014:
Die erste von uns vertretene Vertretungslehrerin hat von der Bezirksregierung die Zusage zur unbefristeten Übernahme als Lehrerin an der bisherigen Schule bekommen.
Update Oktopber 2014:
Für einen von uns vertretenen Vertretungslehrer haben wir vor dem Arbeitsgericht Köln ein positives Urteil erstritten, er muss unbefristet weiterbeschäftigt werden, hat auch inzwischen einen unbefristeten Vertrag als Sportlehrer bekommen.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Brühl und Köln
Letzte Interview vom Autor zum befristeten Arbeitsvertrag:
(1) Interview mit Rechtsanwalt Felser vom 23.07.2014 im WDR Fernsehen zum Thema Befristungen (Generation Zeitvertrag)
(2) ARD Mittagsmagazin vom 31.07.2014 I Immer mehr Zeitverträge statt Festanstellung I Interview Rechtsanwalt Michael W. Felser
Frühere Interviews:
(1) WDR 2 Radio vom 26.01.2012 Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst – EuGH billigt Befristung Rechtsanwalt Michael W. Felser live im Studio mit Gudrun Höpker Podcast mit Auszügen online (leider wegen Befristung durch Rundfunkrecht nach einem Jahr nicht mehr online verfügbar)
(2) Süddeutsche Zeitung vom 26.01.2012 EU-Recht: Mehrfach befristete Arbeitsverträge sind zulässig Ein Beitrag von Verena Wolff mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser[4]
(3) Bild.de vom 27.06.2011 Befristete Arbeitsverträge: Das sind die Rechte der Generation Probezeit Ein Beitrag von Antje Raupach mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser[5]
(4) Mitteldeutsche Zeitung vom 16.11.2009 ARBEITSVERTRAG / Befristungen bedürfen der Schriftform / Gesetz legt die zulässigen Gründe fest. VON VERENA WOLF mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser [6]
(5) News.de Beitrag vom 12.06.2009 Arbeitsrecht: Vertretungskarriere mit befristeten Verträgen Mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser [7]
(6) Süddeutsche Zeitung vom 24.05.2009 Befristeter Arbeitsvertrag – Stückwerk mit Tücken (Verena Wolff, dpa) Rechtsanwalt Michael W. Felser im Interview [8]
(7) Manager Magazin vom 18.05.2009 Befristete Arbeitsverträge – halb drin, halb draussen Rechtsanwalt Michael W. Felser im Interview [9]
(8) N24 vom 18.05.2009 Viele Tücken: Befristete Arbeitsverträge prüfen (Verena Wolff, dpa) Rechtsanwalt Michael W. Felser im Interview [10]
(9) RBB Radioeins “Das schöne Leben” vom 17.12.2008 12:10 Uhr Befristete Arbeitsverträge Experte in der Sendung zum Thema “Befristete Arbeitsverträge” Rechtsanwalt Axel Willmann
(10) Monster.de vom 07.07.2008 Befristete Arbeitsverträge. Lieber ein befristeter Arbeitsvertrag als gar kein Arbeitsvertrag – das denken heute noch immer viele Jobeinsteiger. Doch der befristete Vertrag hat so einige Tücken – die einem Arbeitnehmer oft Nachteile, manchmal aber auch Vorteile bringen. Mit Interviewzitaten von Michael Felser. (leider nicht mehr online verfügbar)
(11) Welt am Sonntag (WAMS) vom 20.08.2006 Befristung ist reine Formsache Mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht von Hopffgarten [11]