Die 1995 geborene Tochter des Beschwerdeführers reiste im Jahr 2001 mit Zustimmung der Mutter – welcher alleine das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen war, zu Verwandten des Beschwerdeführers nach Algerien. Zur Ausreise ist nach algerischem Recht ein notariell beurkundetes Einverständnis des Vaters notwendig, welches der Beschwerdeführer verweigerte. Infolgedessen gelang es der Kindesmutter nicht, die Tochter wieder nach Deutschland zu holen.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Kindesentziehung (§ 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe, welche in der Berufungsinstanz auf zwei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe reduziert wurde.
Da sich der Beschwerdeführer weiterhin – nunmehr auch, um die Kindesmutter von einer Scheidung abzuhalten und zur Erlangung von Vollzugslockerungen als bei ihm wohnhaft anzumelden – zur Erteilung des Einverständnisses weigerte, wurde erneut – nunmehr zu drei Jahren Freiheitsstrafe – verurteilt.

Die Begründung, die Kindesentziehung sei ein Dauerdelikt, bei welchem die letzte Hauptverhandlung des ersten Verfahrens vor dem Amtsgericht eine Zäsurwirkung entfalte, so daß eine weitere Tat vorliege, verstoße unter anderem gegen den Schuldgrundsatz (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
Soweit die rechtskräftige Verurteilung bei Dauerdelikten zu einer Zäsurwirkung führe – wie der Generalbundesanwalt ausführte – sei dies aufgrund der „Einmaligkeit der von ihm geforderten Leistung“ der Abgabe der notariellen Zustimmungserklärung zur Ausreise seiner Tochter nicht gegeben, da die bloße Fortsetzung des Nichthandelns nicht einen neuen, von dem ersten qualitativ verschiedenen, die erste Verurteilung ignorierenden Tatentschluss nicht feststelle. Eine bloße Fiktion des Entschlusses ohne Anhaltspunkte könne keine Grundlage erneuter Verurteilung sein.
Allein die von Zufälligkeiten abhängige Geschwindigkeit der Strafverfolgung führe anderenfalls zur Konstruktion von Zäsurwirkungen, nicht mehr jedoch die individuelle Schuld des Angeklagten; der Angeklagte werde bloßes Objekt der Strafverfolgungsbehörden. Das Rechtsstaatsprinzip sei hierdurch verletzt.

Selbst bei Annahme einer neuen Tat müsse die Verurteilung gerechter Schuldausgleich sein. Vorliegend gestalte sich die Verurteilung des Beschwerdeführer jedoch als Verurteilung für seinen Ungehorsam gegenüber der ersten strafrechtlichen Verurteilung und komme einer Beugemaßnahme – entgegen allen in der Straf- und Zivilprozessordnung aufgestellten Regeln zur Erzwingung unvertretbarer Handlungen – gleich. Ungehorsam als Strafgrund sei einem rechtsstaatlichen Strafrecht fremd und könne – als beharrliche Verletzung von Rechtspositionen anderer oder der Allgemeinheit – allenfalls bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden

Da ein Verstoß gegen den Schuldgrundsatz (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) vorliege, könne dahinstehen, ob darüber hinaus gegen das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem Art. 103 Abs. 3 GG) verstoßen worden sei.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 7/2007 vom 25. Januar 2007, 2 BvR 1895/05

Frings
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht
SKFH – Schlegelmilch Kremer Frings Hellmig
www.skfh.eu

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