entschied der Europäische Gerichtshof heute (EuGH, Urteil vom 11.12.2007 – RS C‑438/05), nachdem ihm der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 23. November 2005 das Verfahren International Transport Workers’ Federation, Finnish Seamen’s Union gegen Viking Line ABP, OÜ Viking Line Eesti vorgelegt hatte. Damit bestätigte der EuGH, dass sich Arbeitnehmer und Gewerkschaften gegen Ausflaggen und Umflaggen von Schiffen in der EU zur Wehr setzen dürfen.

Das Vorabentscheidungsersuchen betraf die Auslegung von Art. 43 EG und der Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschifffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern (ABl. L 378, S. 1), es ging also um die Niederlassungsfreiheit (Freizügigkeit). Die Reedereien sahen in Streikdrohungen und Streiks gegen das Ausflaggen einen Eingriff in ihre Niederlassungsfreiheit. Die Viking Reederei wurde am Umflaggen ihrer Schiffe durch Streikandrohungen und Streiks der finnischen Gewerkschaft FSU gehindert.

Viking erhob deshalb am 18.08.2004 beim High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Commercial Court) (Vereinigtes Königreich), Klage und beantragte, festzustellen, dass die Maßnahme der ITF (Internationale Transportarbeiterorganisation) und der FSU gegen Art. 43 EG verstoße, und der FSU aufzugeben, nicht die Rechte zu beeinträchtigen, die Viking aus dem Gemeinschaftsrecht erwüchsen.

Das Gericht gab der Reederei Recht: die Streiks und Drohungen seien gegen Art. 43 EG verstoßende Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und, hilfsweise, rechtswidrige Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne der Art. 39 EG und 49 EG. Dageben legten die ITF und die FSU Berufung ein, das Berufungsgericht legte die Sache schliesslich dem EuGH vor.

 Der EuGH entschied, dass

„Art. 43 EG dahin auszulegen ist, dass kollektive Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die darauf abzielen, ein Unternehmen, dessen Sitz in einem bestimmten Mitgliedstaat liegt, zu veranlassen, einen Tarifvertrag mit einer in diesem Staat ansässigen Gewerkschaft zu schließen und die Klauseln dieses Tarifvertrags auf Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft des genannten Unternehmens, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, anzuwenden, Beschränkungen im Sinne des genannten Artikels sind. Grundsätzlich können diese Beschränkungen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie etwa den Arbeitnehmerschutz gerechtfertigt sein, vorausgesetzt, es ist erwiesen, dass sie geeignet sind, die Erreichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und dass sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.“

Damit bestätigt das Gericht, dass die Grundsätze der Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit nicht unbeschränkt gelten, sondern selbst vom Arbeitnehmerschutz eingeschränkt werden könnten. Massnahmen des Arbeitnehmerschutzes müssten aber verhältnismässig sein.

Quelle: EuGH, Urteil vom 11.12.2007 – RS C‑438/05, Volltext

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

Kommentierungsfunktion ist momentan abgeschaltet.