Das Oberverwaltungsgericht NRW hat entschieden, dass für die Entscheidung, ob und inwieweit beim zweiten juristischen Staatsexamen von dem rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote abgewichen werden soll, sich der Prüfungsausschuss einen Gesamteindruck über den Leistungsstand des Prüflings verschaffen muss und dabei die Leistungen im Vorbereitungsdienst zu berücksichtigen hat (Urteil vom 9.1.2008, Az.: 14 A 3658/06).

Eine Prüfungskandidatin im zweiten juristischen Staatsexamen hatte im schriftlichen Teil der Prüfungen zwei Klausuren mit befriedigend (8 Punkte) und sechs mit ausreichend (3 x 6 Punkte und 3 x 5 Punkte) bestanden. In der mündlichen Prüfung erhielt sie im Vortrag die Note mangelhaft (3 Punkte) und im Prüfungsgespräch die Note befriedigend (8 Punkte). Als rechnerisches und endgültiges Gesamtergebnis stellte der Prüfungsausschuss einen Punktwert von 6,37 fest und erklärte die Prüfung mit ausreichend für bestanden. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Prüfung hat der Prüfungsausschuss „keine Veranlassung gesehen, von der Möglichkeit einer Änderung der Gesamtnote nach § 31 Abs. 4 JAG Gebrauch zu machen“. Gegen die Prüfungsentscheidung erhob die Kandidatin Widerspruch. Dabei machte sie geltend, der Prüfungsausschuss habe es ermessensfehlerhaft unterlassen, die rechnerisch ermittelte Gesamtnote ihrer zweiten Staatsprüfung anzuheben. Dazu sei jedoch Anlass gewesen, da ihre Leistungen während des Vorbereitungsdienstes deutlich besser gewesen seien.

Das OVG entschied, dass die Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Abweichung von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote fehlerhaft sei. Die Gesamtnote sei nach Maßgabe von § 31 Abs. 4 S. 1, 2 JAG zwar zunächst rechnerisch zu ermitteln. §§ 5 d Abs. 4 S. 1, 2 und 31 Abs. 4 S. 3 JAG räumen dem Prüfungsausschuss jedoch eine begrenzte Befugnis ein, von dem rechnerisch ermittelten Wert abzuweichen, wenn dies den Leistungsstand des Prüflings besser kennzeichne. Bei dieser Regelung handele es sich um eine Härteklausel, die Unbilligkeiten und ungewollte Härten einer schematischen Rechtsanwendung wegen der rein rechnerischen Ermittlung der Gesamtnote im Einzelfall begegnen wolle und dem Gesamteindruck des Prüfungsorgans ausnahmsweise Bedeutung beimesse. Die Erwägung des Prüfungsausschusses, dass ein Abweichen von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote voraussetze, dass sich die Zweifel an deren Aussagekraft allein aus dem in der Prüfung selbst gezeigten Prüfungsbild ergebe und sog. prüfungsfremde Erkenntnisquellen insoweit ohne Bedeutung sind, halte der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Vielmehr ergebe sich aus der Systematik des § 31 Abs. 4 S. 3 JAG 1993 und dem Wortlaut des § 5 d Abs. 4 S. 1 DRiG, § 11 JAO, dass die Leistungen des Vorbereitungsdienstes bei der Frage nach dem „Ob“ der Abweichung von Bedeutung sind.

Des Weiteren habe der Prüfungsausschuss mit dem von ihm zugrunde gelegten Maßstab „völlig untypischer Ausreißer“ die durch § 31 Abs. 4 S. 3 JAG eingeräumte Befugnis nicht ausgeschöpft und deshalb von der Ermächtigung nicht dem Gesetz entsprechend Gebrauch gemacht.

Der erneut zu treffenden Abweichungsentscheidung sei zugrunde zu legen, dass die Feststellung des Leistungsgegenstandes des Prüflings sich auf das beziehe, was gemäß § 25 Abs. 1 JAG Zweck der zweiten juristischen Staatsprüfung sei. Zudem müsse der Prüfungsausschuss für die zwingende Verschaffung eines Gesamteindruckes die im Vorbereitungsdienst erteilten Einzelzeugnisse nicht nur mit ihrer jeweiligen Endnote, sondern auch inhaltlich zur Kenntnis nehmen.

Fundstelle: Urteil des OVG Münster vom 9.01.2008, Az.: 14 A 3658/06

Linda Krickau
Rechtsreferendarin
Kanzlei Felser

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