Langzeiterkrankte, deren Arbeitsverhältnis infolge von Kündigung oder Verrentung endet, verlieren regelmässig ihren Urlaubsanspruch, weil sie den Urlaub wegen durchgängiger Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen können. Auch ein Urlaubsabgeltungsanspruch steht ihnen nach nationaler Rechtsprechung nicht zu.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG, Urteil vom 11.04.2006, 9 AZR 523/05) erlischt nämlich der Urlaubsanspruch aufgrund gesetzlicher Befristung ( § 7 Abs. 3 BUrlG) spätestens mit dem Ende des Übertragungszeitraumes, d.h. mit dem 31.03. des Folgejahres. Falls der Arbeitnehmer rechtzeitig Urlaub verlangt, der Arbeitgeber dann den Urlaub nicht gewährt und danach der Urlaub auf Grund seiner Befristung verfällt, wandelt der Urlaubsanspruch sich in einen Schadensersatzanspruch um. Der Schadensersatzanspruch ist auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ( BAG, Urteil vom 18.09.2001, 9 AZR 571/00 ). Kann der Ersatzurlaub im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht gewährt werden, ist er bei seiner Beendigung abzugelten.

Der Urlaubsanspruch ist gerichtet auf Befreiung von der Arbeitspflicht. Kann der Freistellungsanspruch bis zum Ende des Übertragungszeitraumes im bis dahin bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis – z. B. wegen Arbeitsunfähigkeit – nicht erfüllt werden, erlischt er auf Grund seiner Befristung zu diesem Zeitpunkt, ohne dass ein Schadensersatzanspruch auf Ersatzurlaub entsteht ( BAG, Urteil vom 21.06.2005, 9 AZR 200/04 , AP Nr. 11 zu § 55 InsO, Urteil vom 27.05.2003, 9 AZR 366/02 , EzA Nr. 9 zu § 7 BurlG Abgeltung).

Weil der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG als Ersatz für den wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch des Arbeitnehmers auf Befreiung von der Arbeitspflicht entsteht, ist der Abgeltungsanspruch – abgesehen von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Freistellungsanspruch selbst. Der Abgeltungsanspruch des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers erlischt daher bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit ersatzlos mit dem Ende des Übertragungszeitraumes (BAG, Urteil vom 10.05.2005, 9 AZR 253/04 , EzA Nr. 13 zu § 7 BUrlG Abgeltung, Urteil vom 26.05.1992, 9 AZR 172/91 , AP Nr. 58 zu § 7 BUrlG Abgeltung).

Die nationale Rechtsprechung empfinden die Betroffenen, denen infolge der Entlassung und/oder frühen Verrentung nicht selten ein sozialer Abstieg droht, als ungerechte Härte. Hoffnung macht nun eine Vorlage des Landesarbeitsgericht Düsseldorf an den EuGH:
„Das Verfahren wird ausgesetzt, und dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 234 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (= Art. 7 der Richtlinie 93/104/EG ) dahin zu verstehen, dass Arbeitnehmer auf jeden Fall einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhalten müssen, insbesondere vom Arbeitnehmer wegen Krankheit im Urlaubsjahr nicht genommener Urlaub zu einer späteren Zeit zu gewähren ist, oder kann durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften und/oder einzelstaatliche Gepflogenheiten vorgesehen werden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt, wenn Arbeitnehmer im Urlaubsjahr vor der Urlaubsgewährung arbeitsunfähig erkranken und vor Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des gesetzlich, kollektiv- oder einzelvertraglich festgelegten Übertragungszeitraums ihre Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangen?

2. Ist Artikel 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG dahin zu verstehen, dass Arbeitnehmern bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf jeden Fall einen Anspruch auf finanzielle Vergütung als Ersatz für erworbenen und nicht genommenen Urlaub (Urlaubsabgeltung) zusteht oder können einzelstaatliche Rechtsvorschriften und/oder einzelstaatliche Gepflogenheiten vorsehen, dass Arbeitnehmern Urlaubsabgeltung nicht zusteht, wenn sie bis zum Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des anschließenden Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt sind und/oder wenn sie nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Invalidität beziehen?

3. Für den Fall, dass der Gerichtshof die Fragen zu 1 und 2 bejaht:

Ist Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG dahin zu verstehen, dass der Anspruch auf Jahresurlaub oder auf finanziellen Ersatz voraussetzt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich im Urlaubsjahr gearbeitet hat, oder entsteht der Anspruch auch bei entschuldigtem Fehlen (wegen Krankheit) oder unentschuldigtem Fehlen im gesamten Urlaubsjahr ? “

Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 02.08.2006 -Aktenzeichen: 12 Sa 486/06

Anwälte sollten das bei Vergleichsgesprächen und bei der Beratung der Mandanten bereits berücksichtigen.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser

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