Die Verschwiegenheitspflicht bzw. Schweigeklausel über das Gehalt im Arbeitsvertrag ist mehrkwürdigerweise ein in der Rechtsprechung bis dato nie problematisiertes Thema. Das liegt höchtswahrscheinlich daran, dass kein Arbeitgeber die Einhaltung dieser Klausel jemals einklagen würde. Was auch klug ist.

Ohne Klausel im Vertrag muss kein Arbeitnehmer über sein Gehalt schweigen, da sind sich alle einig. Nach Meinung einzelner Anwälte allerdings soll der Arbeitnehmer per Arbeitsvertrag durch eine entsprechende Arbeitsvertragsklausel verpflichtet werden können, über sein Gehalt zu schweigen. Entsprechende Muster, die sogar ein Stillschweigen über den ganzen Arbeitsvertrag abverlangen (!), findet man auch im Internet. Das ist offensichtlich nicht richtig, auch wenn das Bundesarbeitsgericht mit einer solchen Klausel noch nicht befasst war. Die Unwirksamkeit einer solchen Klausel ergibt sich aber – wenn man sich die Mühe macht, über Intention und Folgen einmal nachzudenken – ohne weiteres aus folgendem:

Arbeitsvertragsklauseln unterliegen einer strengen Inhaltskontrolle, weil der normale Arbeitnehmer keine Wahl hat, einen entsprechenden Einfluss auf einen Formulararbeitsvertrag des Arbeitgebers zu nehmen.  Wenn die Klauseln unverhältnismäßig sind und Mitarbeiter einseitig benachteiligen, sind sie unwirksam (§ 307 BGB).

Eine Klausel, nach der man verpflichtet sein soll, mit Dritten oder gar Kolleginnen und Kollegen nicht über das eigene Gehalt zu reden, würde einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte nicht standhalten.

Zwar können „die Gehälter“ eines Unternehmens ein Geschäftsgeheimnis darstellen, aber nur in der Summe und im Verhältnis zum Unternehmensergebnis, also wenn die Daten wichtige Informationen für ein Konkurrenzunternehmen darstellen. Das Gehalt eines einzelnen Mitarbeiters dagegen ist in diesem Sinne kein Geschäftsgeheimnis. Deshalb ist es auch nicht nur erlaubt, sondern Pflicht eines börsennotierten Unternehmens, die Gehälter des Vorstandes zu veröffentlichen.

Das immer wieder gern genannte Argument, die Verschwiegenheitspflicht über das Gehalt sei für den Betriebsfrieden notwendig, widerlegt sich durch die weit überwiegende Zahl an Arbeitnehmern, deren Arbeitsverträge keine entsprechende Pflicht vorsieht, ohne dass in diesen Unternehmen der Betriebsfrieden gefährdet wäre.

Allerdings wäre der Familienfrieden gefährdet, würde man diese Klausel wirklich ernst nehmen: Verschwiegenheitspflichten bestehen nämlich ausnahmslos gegenüber jedermann, also auch gegenüber Familienangehörigen und dem Partner (dazu mein Interview mit Monster.de).

Es bestehen keine schützenswerten Interessen eines Unternehmens daran, das Gehalt eines einzelnen Arbeitnehmers gegenüber seinen Angehörigen, Freunden, Vermögensberatern und Kollegen geheim zu halten. Das tut in Wirklichkeit auch niemand.

In Wirklichkeit stellt diese Klausel den (untauglichen, weil unzulässigen) Versuch dar, sachfremde Ungleichbehandlungen von Mitarbeitern bei der Bezahlung zu verschleiern. Während in Betrieben mit Betriebsrat dieser durch sein Einsichtsrecht in die Lohn- und Gehaltslisten eine Kontrolle der Gleichbehandlung sicherstellen kann (im Falle eines Leiharbeitnehmers sieht § 13 AÜG sogar ausdrücklich einen Auskunftsanspruch vor), sichert dies in Betrieben ohne Betriebsrat nur das offene kollegiale Gespräch über die Bezahlung. Die Beachtung der Klausel würde verhindern, dass Mitarbeiter in Betrieben ohne Betriebsrat jemals von einer Ungleichbehandlung oder gar diskriminierenden Schlechterstellung erfahren würden.

Eine derartige Wirkung, wenn nicht gar Absicht, fördert oder unterstützt das Arbeitsrecht aber nicht. Weil Arbeitgeber das wissen, ist auch noch nie ein Mitarbeiter deswegen gekündigt worden und nicht ein einziges Gerichtsurteil zu finden.

Wie sagt der schlaue Arbeitgeberanwalt: „Nicht alles, was wir nicht dürfen, sollten wir auch aus dem Arbeitsvertrag nehmen. Manches wirkt einfach deswegen, weil es drinsteht. Schwarz auf weiß eben.“

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

Interviews:

Monster: Plaudertaschen riskieren den Job.
Men´s Health: Pst! Betriebsgeheimnis.

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