Vorweg: Ich bin selbst Arbeitgeber und werde auch nicht gerne beklaut. Trotzdem wird beim Thema Bagatellkündigung einiges schief dargestellt. Es geht nicht darum, dass ein Diebstahl oder eine Unterschlagung ungesühnt bleibt. Es geht vor allem darum, dass eine Bagatellkündigung nicht leichtfertig und aus anderen Gründen ausgesprochen wird. Eine Abmahnung führt schließlich auch dazu, dass jedenfalls die wiederholte Frikadelle zur dann berechtigten Kündigung führt. Das würde bei den meisten aktuellen Fällen wie Stromdiebstahl, Frikadelle, Maultasche, Brotaufstrich und anderen möglicherweise auf Missverständnissen beruhenden Zwischenfälle in längjährigen Arbeitsverhältnissen unter normalen Menschen auch völlig ausreichen. Die Volksseele ist so voreingenommen bei diesem Thema also gar nicht. Der aktuelle Aufreger zum Thema Bagatellkündigung ist aber das Interview von Frau Ingrid Schmidt, Ihres Zeichens die erste Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts. Wer von der hochangesehenen Präsidentin des höchsten deutschen Arbeitsgerichts beim öffentlich wie fachlich umstrittenen Thema „Bagatellkündigung“ allerdings weibliche Milde und Scharfsinn erwartet hat, ist nach einem Interview in der Süddeutschen Zeitung gleich mehrfach enttäuscht. Nicht nur, dass Frau Schmidt wenig zimperlich zum Ausdruck brachte, dass sie Bagatelldelikte am Arbeitsplatz nicht für Kavaliersdelikte, sondern nach wie vor für veritable Kündigungsgründe hält. Nicht nur, weil die erfahrene Arbeitsrichterin die eigentlich sinnvolle Zurückhaltung ihres Amtes bei diesem sensiblen und zu allem Überfluß auch noch politisch hochaktuellen Thema ohne wirkliche Not aufgab. Enttäuschung muß sich vor allem deswegen breit machen, weil Frau Schmidt die Gelegenheit verstreichen ließ, statt des erhobenen Zeigefingers an die arbeitende Bevölkerung die mögliche – von der gerichtlichen Praxis aber sträflichst vernachlässigte – Differenzierung verschiedener Sachverhalte durch eine wohlabgewogene Interessenabwägung darzustellen und die Gerichte zur Nutzung dieses Spielraums ausdrücklich zu ermuntern. Schade eigentlich, denn Frau Schmidt kann nicht entgangen sein, dass es in den meisten Fällen, die die Volksseele kochen liessen, zum Himmel stank und dass die Verfehlungen echte „Occasionen“ waren und arbeitgeberseits bei dieser Gelegenheit andere Rechnungen beglichen wurden. Über Maßregelungen denken Richter aber äusserst ungerne nach, selbst wenn sie auf der Hand liegen. Solange die Gerichte aber eine Ungleichbehandlung bei der Kündigung durch „herausgreifende“ Kündigungen einzelner unter Verschonung anderer Mitarbeiter für rechtmäßig halten und die Interessenabwägung bei der Prüfung eines Kündigungsgrundes eine reine Farce bleibt, solange empört sich das „gesunde“ Rechtsempfinden durchaus zu recht. So hat das Bundesarbeitsgericht sogar eine lange Betriebszugehörigkeit – die grundsätzlich dazu führt, dass der Arbeitnehmer mehr Nachsicht verlangen kann –  zu Lasten des Gekündigten bewertet, mit der Begründung, dass erst dadurch das besondere Vertrauen des Arbeitgebers entstanden und missbraucht werden konnte. Ja dann … Die Arbeitsgerichte drehen und wenden die Gesichtspunkte in der Interessenabwägung wie sie wollen: Mir ist kein einziger höchstrichterlicher Fall bekannt, in dem eine Bagatellkündigung durch eine wohlabgewogene Interessenabwägung gestoppt worden wäre. Die Wette gilt.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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