Mit Urteil vom 11.06.2006 (9 AZR 519/05) beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht mit der spannenden Frage, ob die Reisezeiten im Job (d.h. Dienstreisen ausserhalb der regulären Arbeitszeit) wie Arbeitszeit zu vergüten ist. Geklagt hatte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Bundesbehörde, der ausserdem wissen wollte, ob durch Reisezeiten nicht die werktägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden gemäss § 3 ArbzG überschritten werde und ob Reisen die Ruhezeit nach § 5 ArbzG nicht beeinträchtigen könne.

Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, für den gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (kurz: TVÖD) oder der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT).

§ 44 Abs. 2 des TVÖD (BT Allg. Verwaltung) lautet:

„(2) Bei Dienstreisen gilt nur die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit. Für jeden Tag einschließlich der Reisetage wird jedoch mindestens die auf ihn entfallende regelmäßige, durchschnittliche oder dienstplanmäßige Arbeitszeit berücksichtigt, wenn diese bei Nichtberücksichtigung der Reisezeit nicht erreicht würde. Überschreiten nicht anrechenbare Reisezeiten insgesamt 15 Stunden im Monat, so werden auf Antrag 25 v.H. dieser überschreitenden Zeiten bei fester Arbeitszeit als Freizeitausgleich gewährt und bei gleitender
Arbeitszeit im Rahmen der jeweils geltenden Vorschriften auf die Arbeitszeit angerechnet. Der besonderen Situation von Teilzeitbeschäftigten ist Rechnung zu tragen.“

§ 17 Abs. 2 BAT lautet:

„(2) Bei Dienstreisen gilt nur die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit. Es wird jedoch für jeden Tag einschließlich der Reisetage mindestens die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit berücksichtigt. Muss bei eintägigen Dienstreisen von Angestellten, die in der Regel an mindestens zehn Tagen im Monat außerhalb ihres ständigen Dienstortes arbeiten, am auswärtigen Geschäftsort mindestens die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit abgeleistet werden und müssen für die Hin- und Rückreise zum und vom Geschäftsort einschließlich der erforderlichen Wartezeiten mehr als zwei Stunden aufgewendet werden, wird der Arbeitszeit eine Stunde hinzugerechnet.“

BAT und TVÖD sehen also eine Vergütung von Reisezeiten wie Arbeitszeit nur ausnahmsweise vor. Auch das Bundesarbeitsgericht hatte bisher Reisezeiten nur dann als vergütungspflichtig angesehen, wenn während der Reise tatsächlich gearbeitet wurde oder der Arbeitgeber die Anreise mit dem PKW vorschrieb, so dass „gelenkt“ werden musste.
Ausserdem natürlich bei Berufsgruppen, deren Tätigkeit das Reisen ist wie bei Stewardessen, Busfahrern, Lokführern, Taxifahrern, Kapitänen etc.

Das Urteil hält an der bisherigen Linie des BAG fest, wonach bei Dienstreisen ausserhalb der regulären Arbeitszeit nur Zeiten einer Inanspruchnahme durch Arbeit oder Lenken des Fahrzeugs als Arbeitzeit gelten.

Auch Beamte könne nicht frohlocken: Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat bei Beamten eine Paralelle zum SIMAP-Urteil ausdrücklich abgelehnt und Reisezeiten sogar unabhängig davon, ob man Selbstlenker ist, nicht als Arbeitszeit anerkannt (OVG Rheinland-Pfalz vom 18.11.2005 – Aktenzeichen 10 A 10757/05).

Reisezeiten sollen auch mitbestimmungsrechtlich nicht als Arbeitszeit (im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG) gelten, so das LAG Berlin (Landesarbeitsgericht Berlin vom 11.11.2005 – 2 TaBV 1134/05), das sich damit ebenfalls ganz auf der Linie des BAG bewegt. Allerdings ist Rechtsbeschwerde zugelassen (Aktenzeichen beim BAG: 1 ABR 5/06). Mal sehen, wie der erste Senat unter der Präsidentin Frau Schmidt das sieht.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im SIMAP Urteil zum Bereitschaftsdienst allerdings auch bemerkt, dass Arbeitszeit immer dann vorläge, wenn der Arbeitnehmer den Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen könne. Das ist bei einer Reise natürlich ebenfalls der Fall. Es bleibt also offen, wie der EuGH dies bei Reisezeiten sehen würde. Wie zahlreiche Urteile aus der Vergangenheit belegen (Altersdiskriminierung durch § 14 TzBfG; Massenentlassungsanzeige nach § 17 f. KSchG), sieht der EuGH die Dinge nicht immer so wie das Bundesarbeitsgericht.

Michael Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser

Arbeitsgericht.de

2 Kommentare

  1. jze50
    16. Juli 2006 08:59

    Man kann nur hoffen, dass sich die Ansicht des EuGH durchsetzt. Da der Arbeitgeber lt. Rechtsprechung auch einseitig und ohne Beteiligung des Betriebsrats bestimmen kann, dass eine Dienstreise außerhalb der normalen Arbeitszeit angetreten werden muss, stehen dem Arbeitgeber damit alle Türen offen, die Verfügungsgewalt über die (Frei-)Zeit der Arbeitnehmer auszudehnen, ohne dass ihn das auch nur einen Cent kosten würde.

    Dass das BAG die Reisezeit als Erholungszeit ansieht, obwohl im entschiedenen Falle der Arbeitnehmer offensichtlich mit dem Pkw unterwegs war, geht an der Realität der Verkehrsverhältnisse auf unseren Straßen vorbei. Zwar war dem Arbeitnehmer offensichtlich freigestellt, welches Verkehrsmittel er benutzt. Unterbindet jedoch der Arbeitgeber nicht die Benutzung des Pkw – wozu er berechtigt wäre – so kann nicht einfach die Realität unberücksichtigt bleiben und eine anstrengende Fahrt mit dem Pkw als Erholungszeit definiert werden. Dies widerspricht sicher dem Geist des Arbeitszeitgesetzes, das auf den Schutz vor Überlastung des Arbeitnehmers durch zu lange Arbeitszeiten (= Zeiten der kozentrierten Anspannung) zielt.