Das OVG Lüneburg hat sich in seinem Beschluss vom 05.06.2007 – 5 ME 63/07 – mit einer Frage beschäftigt, die im Beamtenrecht häufig Relevanz im Zusammenhang mit der Frage einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand oder der Entlassung aus dem Dienst entwickelt: Geht die amtsärztliche Bewertung der Dienstfähigkeit der privatärztlichen, widersprechenden Bewertung vor?
Ein Polizeikommissaranwärter erhielt, nachdem er in den letzten zwei jahren kaum Dienst leisten konnte, sowohl die Bescheidung über seine Polizeidienstunfähigkeit als auch über seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf. Da der Sofortvollzug angeordnet worden war, strengte der Beamte neben den Hauptsacheverfahren auch Verfahren im Eilrechtschutz an, um die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die beiden Bescheide wiederherzustellen.

Der Beamte stützte sein Begehren u.a. darauf, daß die amtsärztlichen Diagnosen nicht haltbar seien, es an einer fachärztlichen Klärung fehle und sich aus den privatärztlichen Befunden ergebe, daß seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen weder die Dienstunfähigkeit bedingen noch untherapierbar seien.

Erstinstanzlich versagte das zuständige VG vorläufigen Rechtsschutz, so daß der Antragsteller Beschwerde einlegte und weitere privatärztliche Befunde vorlegte, wonach nach einer bestimmten Operation und sechsmonatiger Rehabilitation mit einer Wiedererlangung der uneingeschränkten Dienstfähigkeit zu rechnen sei.

Das OVG Niedersachsen gab dem Antragsteller Recht und gewährte vorläufigen Rechtsschutz. Gestützt wurde die Entscheidung darauf, daß das OVG angesichts der im Beschwerdeverfahren vorgelegten neuen privatärztlichen Befunde nicht mehr davon ausging, daß die Feststellung der Dienstunfähigkeit im Hauptsacheverfahren bestätigt wird.

Polizeidienstunfähigkeit liege nach § 54 Abs. 1 NBG vor, wenn der Beamte den besonderen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst nicht mehr genügt und nicht zu erwarten ist, dass er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt. Regelmäßig wird dies nach § 226 Abs. 2 NBG durch den Dienstvorgesetzten nach Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens oder Gutachten eines beamteten Arztes gemäß § 226 Abs. 3 NBG festgestellt. Maßgebender Zeitpunkt der Beantwortung der Frage nach der Dienstunfähigkeit sei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.

Angesichts dieser gesetzlichen Wertung komme der Beurteilung der Dienstunfähigkeit durch den Amtsarzt oder den beamteten Arzt zwar im Regelfall ein Vorrang gegenüber privatärztlichen Stellungnahmen zu. Dies gelte aber nur, sofern keine begründeten Zweifel an der Sachkunde des Amtsarztes bestehen, die Bewertungen auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruhen, stimmig und nachvollziehbar sind. Auch habe der Amtsarzt bzw. beamtete Arzt konkrete oder detaillierte Befunde von Privatärzten mit in seiner Bewertung einzubeziehen und zu erklären, warum diesen im Ergebnis nicht gefolgt werden soll.

Das OVG merkt in diesem Zusammenhang an, daß die aktuellsten privatärztlichen Befunde, die sich konkret zum orthopädischen Befunden, einer erfolgversprechenden Therapie und der Dauer der voraussichtlichen Rekonvaleszenz des Antragsstellers äußerten,  zwar erst nach der behördlichen Entscheidung eingeholt worden waren. Allerdings ergebe sich aus diesen Befunden, daß durch eine weitere MRT-Diagnostik die Ursache für die orthopädischen Beenträchtigungen des Klägers erkannt worden waren und erst hiernach ein erfoglversprechender Therapieansatz entdeckt werden konnte. Eine derartige Untersuchung hätte aber auch schon durch die beamtete Ärztin, die mit der Sache befaßt war, vor Erlaß der angegriffenen Bescheide angeordnet werden können und zur Sachverhaltsaufklärung auch müssen.

Fundstelle:    Beschluss des OVG Lüneburg vom 05.06.2007 – 5 ME 63/07 –

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Christian von Hopffgarten
Rechtsanwalt & Fachanwalt
für Arbeitsrecht
Rechtsanwälte Felser

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