Wer regelmässig zu Gericht geht, weiss es: An vielen Gerichten wird der Sachverhalt allein aus den Schriftsätzen der Parteien geschöpft, die Vernehmung von Zeugen ist selbst bei Erheblichkeit und entsprechenden Beweisantritten eine Ausnahme, Anträge auf Parteivernehmung lösen allenfalls ein müdes Lächeln aus. Jaja, der Europäische Gerichtshof für die Menschenrecht … Was wie ein Bericht aus einem fernen unterentwickelten Land klingt (der Autor dieser Zeilen hat an dieser Stelle bewusst auf einschlägige Ländernamen verzichtet), ereignet sich in Deutschland ebenfalls täglich. Grund ist Überlastung der Eingangsinstanzen, aber auch mangelnde Sensibilität für ein wichtiges Grundrecht, nämlich den Anspruch auf rechtliches Gehör. Man konnte das früher in der Neuen juristischen Wochenschrift (NJW) beobachten, dort betrafen viele abgedruckte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts das “rechtliche Gehör”. Dabei ist die erste Instanz die Tatsacheninstanz schlechthin.

Was nützt den Parteien eine richtige Entscheidung zu einem Sachverhalt, der sich leider anders zugetragen hat. Das ist es, was der Volksmund mit “Steinen statt Brot” meint.

Das Bundesarbeitsgericht (vom 22.05.2007 – Aktenzeichen 3 AZN 1155/06, Volltext) hat jetzt noch einmal deutlich gemacht, dass zur Sachverhaltsaufklärung auch die Parteivernehmung nach § 448 ZPO und die Anhörung nach § 141 ZPO genutzt werden müssen. Das gilt nicht nur für die im Arbeitsrecht alltägliche Situation, dass der Arbeitgeber für den Inhalt eines “Vier-Augen-Gesprächs” Beweis durch einen eigenen Zeugen wie Personalleiter oder Vorgesetzten antreten kann, während der Arbeitnehmer selbst als Partei nicht als Zeuge auftreten kann. Es gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts genauso, wenn beide Seiten als Partei keine Zeugen sein können.

“bb) Die aus der Verfassung folgende Pflicht zur Prüfung verbietet es, einer Partei, die – wie hier – ihre Behauptung über den Inhalt eines Gesprächs allein durch ihre eigene Vernehmung führen kann, dieses Beweismittel zu verwehren. Damit würde die Partei in ihrer Beweisnot belassen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist es geboten, die Partei entweder selber im Wege der Parteivernehmung nach § 448 ZPO, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen, oder im Wege der Parteianhörung nach § 141 ZPO persönlich zu hören. Ein Beweisantrag auf Heranziehung der Partei als Beweismittel ist dann nicht unzulässig.

Dies ist für die Fallgestaltung, dass in einem Zivilprozess eine Seite auf einen ihr nahestehenden Zeugen zurückgreifen kann, während die andere Seite an einem “Vieraugengespräch” lediglich allein beteiligt war, in der Rechtsprechung anerkannt (BVerfG 21. Februar 2001 – 2 BvR 140/00 – NJW 2001, 2531, zu III 1 b der Gründe; BAG 6. Dezember 2001 – 2 AZR 396/00 – BAGE 100, 52, zu B III 2 b bb der Gründe; zu Unrecht skeptisch: Sächsisches LAG 15. September 1999 – 2 Sa 519/99 – NZA-RR 2000, 497) . Für diese Konstellation ist auch anerkannt, dass bei einer anderen Handhabung ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegt (EGMR 27. Oktober 1993 – 37/1992/382/460 – NJW 1995, 1413) . Die Grundsätze sind darüber hinaus auch auf eine Fallgestaltung wie sie hier vorliegt zu übertragen, dass ein Gespräch allein zwischen den Parteien stattgefunden hat und deshalb kein Zeuge, auch kein “gegnerischer” Zeuge, zugegen ist. Auch in diesem Fall stünde die Partei vor einer nicht behebbaren Beweisnot, würde ihr nicht Gelegenheit gegeben, den notwendigen Beweis überhaupt zu führen (vgl. BAG 16. September 1999 – 2 AZR 712/98 – AP GrO kath. Kirche Art. 4 Nr. 1 = EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 45, zu II 2 f dd der Gründe; im Ergebnis wie hier Zwanziger DB 1997, 776, 778).”

Für die Parteien stellt es eine erhebliche Kränkung dar, wenn man ihnen kein Gehör schenkt. Zum Vertrauen in den Rechtsstaat gehört auch, dass man – gerade bei schwacher Beweislage – die Chance bekommt, wenigstens persönlich gehört zu werden.

Ebenso selbstverständlich gehört es zu einer seriösen anwaltlichen Beratung dazu, die eigenen Mandanten über die schwierige Problematik der Parteivernehmung und Anhörung für die Erfolgsaussichten hinzuweisen. Denn auch wenn das Gericht diese Mittel nutzt, bleiben sie in den Augen meisten Richter zweitklassige Mittel der Sachverhaltserforschung.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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