Das VG Stuttgart beschäftigt sich in seinem Urteil vom 25.9.2007 – 6 K 1534/06 – mit Fragen der Heilungsbewährung im Hinblick auf die Erlangung der Polizeidienstfähigkeit, des Vorranges poilzeiärztlicher Gutachten und der Frage der Vereinbarkeit von Verwaltungsvorschriften zum Thema Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit mit dem AGG.

Einem Polizeimeisteranwärter auf Widerruf wurde im Jahr 2003 wegen eines Tumorverdachts Hoden und der Samenstrang entfernt. Außerdem wurden Lymphknoten entfernt und eine Chemotheraphie durchgeführt. Dem Beamten wurde angekündigt, daß er nach Abschluß seiner Ausbildung nicht von einer sofortigen Wiedereinstellung in den Polizeidienst ausgehen könne.

Bei einer polizeiärztlichen Untersuchung im November 2005 wurde seine Eignung für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe verneint. Dem Bewerber wurde in Aussicht gestellt, seine Eignung nach einer Heilungsbewährung im Juni 2008 erneut zu überprüfen. Im Folgemonat wurde dem Beamten sein Ausscheiden mit Abschluss der Ausbildung aus dem Beamtenverhältnis mitgeteilt. Polizeidienstfähigkeit sei nicht gegeben.

Der Widerspruch des Bewerbers, den er vor allem mit seiner Beschwerdefreiheit und den fachärztlichen Einschätzung, daß er mit hoher Wahrscheinlichkeit geheilt sei, begründete,  gegen diese Verfügung wurde zurückgewiesen.

In einer im Rahmen des Widerspruchsverfahrens eingeholten polizeiärztlichen Stellungnahme ging man hingegen von einer Heilungsbewährungszeit von insgesamt 5 Jahren nach der Operation und Chemotherapie au, so daß der Widerspruch zurückgewiesen wurde, weil der Bewerber nicht als vollkommen geheilt und als uneingeschränkt polizeidiensttauglich beurteilt werden könne.

Im Klageverfahren holte das VG Stuttgart ein Sachverständigengutachten zu Frage der dauerhaften Heilung des Klägers ein. Der Gutachter ging rund drei Jahre nach der Operation und Chemotherapie von einermehr als 98%igen Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Heilung aus.Eine Einschränkung im Hinblick auf die Polizeidiensttauglichkeit vermochte der Gutachter nicht auszumachen.

Der Dienstherr wandte gegen das Gutachten ein, auch nach Angaben des Gutachters die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Wiedererkrankung innerhalb von vier Jahren bei 6% liege. Allein dieses Risiko sei im Rahmen der Ermessensausübung für den Dienstherrn zu beachten. Laut einer aktuellen Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt komme es zu Rezidivaten innerhalb von 5 Jahren in 15% bis 30% aller Fälle. Der Kläger könne zudem nur polizeiatypisch eingesetzt werden, da er während der Heilungsbewährung von 5 Jahren mit einem GdB/MdE-Grad von 50% schwerbehindert sei.

Der gerichtlich bestellte Gutachter nahm ergänzend Stellung und verwies darauf, daß unabhängig von den üblichen Fünfjahres- bzw. Zehnjahreszeiträumen im Hinblick auf eine Heilungsbewährung auch nach bereits nach 3 Jahren im Einzelfall Beurteilungen über den weiteren Verlauf einer Tumorerkrannkung möglich seien. Er habe die Erfahrung mit vergleichbaren Patienten gemacht, daß diese ebenfalls nach drei Jahren ihre beruflichen Tätigkeiten ohne Einschränkungen und Gefährdung ausführen könnten.

Das VG wies die Klage zurück und verwies darauf, daß dem Dienstherr nach ständiger Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg eine Beurteilungsermächtigung in Bezug auf die Eigung eines Bewerbers zukommt. Anhaltspunkte dafür, daß der Dienstherr den rechtlichen Rahmen und die anzuwendenden Begriffe unzutreffend gewürdigt, eine falsche Sachverhaltsannahmen zugrunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet und sachfremde Erwägungen angestellt hat, lägen nicht vor.

Die PDV 300 „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ sei zwar nur eine Verwaltungsvorschrift, gleichwohl aber zu beachten, weil der Dienstherr in ihre geregelt habe, welche gesundheitlichen Eignungsvoraussetzungen von einem Bewerber für den Polizeidienst erfüllt sein müssen. Polizeidienstfähigkeit im Sinne der Vorschrift bedeute die uneingeschränkte und jederzeitige Verwendbarkeit eines Polizeibeamten in der Vollzugspolizei.  Gesundheitliche Beeinträchtigungen im Sinne der Vorschrift, die eine Einstellung in den Polizeidienst ausschließen, sind insbesondere schwerwiegende Vorerkrankungen, bei denen ein Rückfallrisiko besteht. Die Vorschrift verstoße auch nicht gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG),  weil die Einschränkung der Verwendungsfähigkeit bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen eines Bewerbers nach der Fürsorgepflicht des Dienstherrn geboten sei und damit eine zulässige unterschiedliche Behandlung im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG sei.

Bei dem Kläger läge zweifelsohne eine entsprechende Vorerkrankung vor. Streitig sei allein die Frage, welcher Zeitraum im Hinblick auf eine Heilungsbewährung anzunehmen war. Insoweit bestünden zwar keine Zweifel an dem lege artes gefertigten Gutachten, allerdings überschreite auch der Dienstherr seinen Beurteilungsspielraum nicht, wenn er von einer Heilbewährungszeit von fünf Jahren ausgeht und eine Polizeidienstfähigkeit auch vor dem Hintergrund der Schwerbehinderung des Klägers ablehnt.

Die Forderung nach einer Heilungsbewährung über fünf Jahre entspreche nach wie vor der dem medizinisch anerkannten Zeitraum im Hinblick auf die Erkrankung des Klägers. So wiesen z.B. die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) auf diesen Zeitraum hin. Die Anhaltspunkte werden vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung veröffentlicht und ständig  nach neuen medizinischen Erkenntnissen aktualisiert. Sie hätten zwar keine Rechtsnormqualität, seien aber nach ständiger Rechtsprechung des BSG als antizipierte Sachverständigengutachten zu bewerten und daher wie untergesetzliche Normen von der Gerichtsbarkeit zu berücksichtigen.

Außerdem komme den polizeiärztlichen Gutachten bei der Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit ein höherer Beweiswert als anderen Gutachten zu, weil die Ärzte des Polizeiärztlichen Dienstes aufgrund ihrer Kenntnis des Polizeidienstes besonderen Sachverstand im Hinblick auf die Frage der Polizeidienstfähigkeit hätten.

Fundstelle: Urteil des VG Stuttgart vom 25.9.2007 – 6 K 1534/06 –

Christian von Hopffgarten
Rechtsanwalt & Fachanwalt
für Arbeitsrecht
Rechtsanwälte Felser

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