Wir hatten bereits berichtet, dass das BAG früher entschieden hatte, dass eine Massenentlassungsanzeige auch noch nach Ausspruch der Kündigungen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erstattet werden könne, weil das höchste deutsche Arbeitsgericht das “entlassen” in § 17 KSchG als den Zeitpunkt des Ausscheidens und nicht den der Kündigung ansah (JuracityBlog berichtete). Diese Rechtsprechung hatte der EuGH (27.01.2005 RS C-188/03 Rechtssache „Junk“) allerdings als mit der entsprechenden EU-Massenentlassungsrichtlinie  unvereinbar angesehen. Das Bundesarbeitsgericht ist zwischenzeitlich dem EuGH gefolgt und hat entschieden:

1. Entlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG meint bei einer der Richtlinie RL 98/59/EG (juris: EGRL 59/98) vom 20. Juli 1998 entsprechenden richtlinienkonformen Auslegung der kündigungsschutzrechtlichen Bestimmung den Ausspruch der Kündigung.

2. Eine nach Ausspruch der Kündigung erstattete Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit führt jedenfalls dann nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn sich der Arbeitgeber berechtigterweise auf den auch bei einer Änderung der Rechtsprechung zu beachtenden Vertrauensschutz berufen kann.

so das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 23.3.2006, Aktenzeichen 2 AZR 343/05). Der Vertrauensschutz nach Ziff. 2 der Leitsätze ist inzwischen durch die Änderung der entsprechenden Merkblätter und der Veröffentlichung der geänderten Rechtssprechung nicht mehr aktuell. Vielmehr sind nunmehr Massenentlassungsanzeigen, die nicht vor dem Ausspruch der Kündigung erfolgten, verspätet. Ob damit die Kündigungen allerdings unwirksam sind, hat das Bundesarbeitsgericht bisher nicht entschieden. Es hat lediglich in der Entscheidung vom 23.3.2006 ausgeführt, dass es die Unwirksamkeitsfolge nicht mehr als zwingend ansieht:

„Selbst wenn eine verspätete Massenentlassungsanzeige generell zur Unwirksamkeit einer vorher ausgesprochenen Kündigung führen würde (so früher BAG 6. November 1958 – 2 AZR 354/55 – BAGE 7, 4; 13. März 1969 – 2 AZR 157/68 – AP KSchG § 15 Nr. 10 = EzA KSchG § 15 Nr. 1; 6. Dezember 1973 – 2 AZR 10/73 – BAGE 25, 430; 6. Juni 1989 – 2 AZR 624/88 – AP KSchG 1969 § 17 Nr. 6 = EzA KSchG § 17 Nr. 4; ErfK/Ascheid 6. Aufl. § 18 KSchG Rn. 2; siehe auch Osnabrügge NJW 2005, 1093, 1094; aA Ferme/Lipinski ZIP 2005, 593, 594; Piekenbrock ZZP 2006, 3, 34 mwN) – was aber auf Grund des Sinns und Zwecks des Anzeigeverfahrens nicht zwingend erscheint -, verbietet es der Grundsatz des Vertrauensschutzes im vorliegenden Fall, die Kündigung vom 30. Juli 2004 als unwirksam anzusehen.“

Zwar liegt bisher (Stand 30.9.2007) noch keine BAG-Entscheidung zu dieser Frage vor,  allerdings sprechen die besseren Argumente für die Beibehaltung der Unwirksamkeitsfolge („erst recht“ so das LAG Düsseldorf im Urteil vom 01.03.2007 – Aktenzeichen 13 Sa 1275/06).

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte

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