Deutschland vormals angesehenster Radprofi beklagt sich bitterlich über die fristlose Kündigung seines Fahrervertrages mit T-Mobile und beruft sich auf die „Unschuldsvermutung, die in einem Rechtsstaat jedem zusteht …“. Hier irrt Ullrich. Die Unschuldsvermutung gilt nämlich nur im Strafverfahren und soweit scheint es ja noch nicht zu sein. Im Dienstvertragsrecht – und darum handelt es sich im Falle von Fahrerverträgen – gilt vielmehr der Grundsatz, dass der Dienstherr – T-Mobile – den Vertrag fristlos kündigen kann, wenn das notwendige Vertrauen in die Vertragstreue des Fahrers durch entsprechend starke Verdachtsmomente auf schwere Verfehlungen, die eine Zusammenarbeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machen, zerstört ist (sogenannte ausserordentliche Verdachtskündigung).

Das Bundesarbeitsgericht drückt es so aus:

„§ 626 Abs. 1 BGB läßt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).“

BAG vom 13.9.1995 – Aktenzeichen 2 AZR 587/94

Nach allem, was die Öffentlichkeit dazu weiss, dürften hinreichende Indizien für ein gravierendes Fehlverhalten, nämlich unerlaubtes Doping, von Ullrich vorliegen. Es ist – deswegen heisst die Kündigung „Verdachtskündigung“ – nicht erforderlich, dass Ullrich des Dopings überführt ist.

Allerdings ist fraglich, ob T-Mobile alles getan hat, um den schweren Verdacht zu untersuchen. Das BAG fordert nämlich – weil lediglich ein Verdacht vorliegt, dass dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben wird, sich zu äussern:

„Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist formelle Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung, denn anders als bei einem aufgrund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt besteht bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr, daß ein „Unschuldiger” betroffen ist. Deshalb ist es gerechtfertigt, strenge Anforderungen an die Verdachtskündigung zu stellen und vom Arbeitgeber zu verlangen, alles zu tun, um den Sachverhalt aufzuklären. Die Kündigung verstieße anderenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sie wäre nicht ultima ratio. Der Arbeitnehmer muß die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe bzw. Verdachtsmomente zu beseitigen bzw. zu entkräften und gegebenenfalls Entlastungstatsachen geltend zu machen. Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende ihm obliegende Anhörungspflicht, dann kann er sich im Prozeß nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen, d.h. die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam (BAG AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972).“

BAG vom 13.9.1995 – Aktenzeichen 2 AZR 587/94

Im Dienstvertragsrecht gilt also nicht die bei einer Straftat verdächtigen massgebliche Unschuldsvermutung (das bedeutet,ja dass der Beweis gegen jemanden geführt werden muss), sondern lediglich das Recht das Verdächtigen, sich im Rahmen einer Anhörung zu entlasten. T-Mobile muss Ullrich also – für die Verdachtskündigung – nicht des Dopings überführen, sondern Ullrich muss sich gegenüber dem begründeten Verdacht entlasten. Diese Gelegenheit – zu der die Vorlage einer Haarprobe geeignet gewesen wäre – hat er offensichtlich nicht genutzt. Ullrich liess die bis Donnerstag gesetzte Frist, sich zu äussern, verstreichen. Beredtes Schweigen? T-Mobile hat jedenfalls weil Ullrich die Gelegenheit, sich zu entlasten, ungenutzt liess, gute Karten.

Ullrich hat sich mit Theune keinen Kündigungsrechtspezialisten, aber einen erfahrenen Verhandler und Schiedsrechtler als Anwalt genommen. Der wird den Streit sicher nicht bis zu einem Urteil treiben.

T-Mobile wird sich wohl auch aus der nicht gerade den Wert der Marke steigernden Sache (trotz Dopingverdacht lahmender Held) herauskaufen, so wie Bayer (der frühere Hersteller von Heroin) sich seinerzeit von dem koksenden Daum losgekauft hat, obwohl ein hinreichender Grund zur fristlosen Kündigung vorlag. Ullrich pokert also um eine hohe Abfindung. Der Hinweis auf die Unschuldvermutung soll davon ablenken. Jan Ullrich geht es einmal mehr ums Geld.

Wer dopt, tut dies übrigens auch weniger aus sportlichen Gründen, sondern „der Kohle wegen“. Ullrich hätte jetzt Gelegenheit, einen sportlich sauberen Abgang vorzunehmen (zur Chronik des Skandals via Wikipedia). Es sieht allerdings nicht so aus, als ob er diese Gelegenheit nutzt.

Michael Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser

Experte auf www.kuendigung.de

Autor des Ratgebers „Kündigung was tun?“
als Buch empfohlen von WDR, MDR, HR, IG Metall,
Deutschlandradio, Junge Karriere (Handelsblatt),
Kölner Stadtanzeiger u.a.

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