Das OVG Lüneburg setzt sich in seinem Beschluss vom 06.09.2007 – 5 ME 236/07 – mit der Frage auseinander, ob es für die vorzeitige Versetzung eines Beamten in den Ruhestand der amtsärztlichen Festellung einer Erkrankung im medizinischen Sinne und der Feststellung der Dienstunfähigkeit bedarf.

Eine Lehrerin war im März 2007 vorzeitig wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden. Eine psychsiche Erkrankung im klassischen Sinne konnte im Rahmen amtsärztlicher Untersuchungen zwar nicht festgestellt werden. In einer Stellungnahme des Amtsarztes wurde sogar ausgeführt, dass keine wesentlichen Hinweise auf das Vorliegen einer Dienstunfähigkeit festgestellt werden konnten. Begründet wurde die Entscheidung aber damit, daß das Sozialverhalten der Beamtin erheblich gestört sei und damit eine für die Unterrichtstätigkeit erforderliche Voraussetzung fehle. Die sofortige Vollziehung der Versetzungsverfügung wurde angeordnet.

Hiergegen richtete die Lehrerin einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid erhobenen Anfechtungsklage. Das angerufene Verwaltungsgericht lehnte diesen ab. Zwar sei nicht eindeutig im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchungen geklärt worden, daß die Antragstellerin dauernd dienstunfähig sei und auch die Möglichkeit anderweitiger Verwendung der Lehrerin sei nicht geprüft worden. Angesichts der festgestellten Vorfälle im Unterricht, der Übergriffe auf Schüler und der wiederholten Konfliktsituationen überwiege jedoch das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Versetzung zum Schutz der Schüler und zu Gunsten der Aufrechterhaltung des Unterrichtsbetriebes. Die Antragstellerin sei daher auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

Gegen diesen Beschluß erhob die Lehrerin Beschwerde zum OVG Lüneburg. Ihre Dienstunfähigkeit sei nicht festgestellt, in Vermerken festgehaltene Konfliktsituationen seien unzutreffend und eine anderweitige Verwendung sei nicht geprüft worden. Der mit der sofortigen Vollziehbarkeit der Versetzungin den Ruhestand verbundene Bezug von Versorgungsbezügen führe zu erheblichen finanziellen Einbußen angesichts derer ein etwaiges öffentliches Interesse zurück treten müsse.

Auch das OVG vermochte dem Begehren der Lehrerin nicht zu folgen.

Es weist darauf hin, daß nicht allein eine amtsärztliche Begutachtung für die Entscheidung über die Annahme einer Dienstunfähigkeit maßgeblich ist. Die Einholung sei zwar nach § 55 Abs. 1 Satz 2 NBG zwingend vorgeschrieben, dem Gutachten komme aber deswegen nicht die Bedeutung der alleinigen Entscheidungsgrundlage für die Versetzungsentscheidung zu. Der Dienstherr müsse selbst abwägen, ob der Beamte aufgrund seiner gesundheitlichen Konstitution in der Lage ist, ohne Beeinträchtigungen des Dienstbetriebes die sich aus seinem Amt ergebenden Pflichten zu erfüllen. Der Dienstvorgesetzte kann hierbei neben dem ärztlichen Gutachten
eigene Erkenntnisse und Feststellungen berücksichtigen.

§ 54 Abs. 1 Satz 1 NBG nennt auch den Fall der Dienstunfähigkeit wegen einer Schwächung der geistigen Kräfte. Eine solche könne auch schon dann vorliegen, wenn zwar keine psychsiche Erkrankung vorliege, ein Lehrer aber aufgrund seiner geistig-seelischen Konstitution dennoch nicht mehr in der Lage ist, seiner Pflicht zur harmonischen Zusammenarbeit mit Kollegen, Vorgesetzten, Schülern oder deren Eltern nachzukommen und hierdurch der Unterrichtsbetrieb gestört wird. Ob eine solche Schwächung vorliege, ergebe sich aus dem Vergleich mit einem vergleichbaren und durchschnittlichen, zur Erfüllung seiner amtsgemäßen Dienstgeschäfte tauglichen Amtsinhaber.

Die in Vermerken und anderen Verwaltungsvorgängen festgehaltenen Konfliktsituationen berechtigten den Dienstherrn insoweit jedenfalls zu erheblichen Zweifeln an der Dienstfähigkeit der Antragststellerin. In Bezug auf die Vorwürfe wegen der Unterrichtsgestaltung, des verwendeten Unterrichtsmaterials, der Notenvergabe und wegen des Verhaltens gegenüber Schülern und Eltern könnte zwar auch die Geeignetheit der Lehrerin für den Lehrerberuf an sich in Frage gestellt oder auch ein disziplinarrechtliches Fehlverhalten angedacht werden. Die bisherige berufliche Entwicklung und vom Schulleiter festgestellte Verhaltensweisen wie schweigendes Sitzen am Pult bei starrem Blicken in den Klassenraum und deutliche Anzeichen der Verwahrlosung, beeinträchtigter Wahrnehmungs- und Orientierungsfähigkeit u.a. deuteten allerdings eher auf eine Schwächung der geistigen Kräfte. Soweit die Lehrerin diesen Feststellungen entgegen getreten sei, widerlege dies nicht die Zweifel bezüglich ihrer Dienstfähigkeit, fest stehe nämlich, daß es seit Jahren an mehreren Schulen ähnliche Probleme gegeben hat, die zu zahlreichen Eingaben von Eltern, Schülern und Schulleitern geführt haben.

Das OVG konzedierte, daß es der weiteren Aufklärung bedürfe, ob damit die Dienstunfähigkeit der Antragstellerin feststehe. Die Richter waren auch der Auffassung, daß die Frage der anderweitigen Vewendung ebenfalls noch einer Prüfung bedürfe. Dies könne – unter Hinweis auf § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG – jedoch auch nachgeholt werden. Jedenfalls sei die angefochtene Verfügung – wie für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erforderlich – jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig und der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen. In dieser Konstellation überwiege aber das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Schulbetriebes und dem Schutz der Schülerschaft die von der Lehrerin angeführten persönlichen Interessen an einer Fortführung der Unterrichtstätigkeit und dem Bezug der üblichen Besoldung.

Fundstelle: Beschluss des OVG Lüneburg vom 06.09.2007 – 5 ME 236/07 –

Christian von Hopffgarten
Rechtsanwalt & Fachanwalt
für Arbeitsrecht
Rechtsanwälte Felser

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