Mit Urteil vom 27.04.2006 entschied das Landessozialgericht in Darmstadt, dass Zeitungszusteller von einer Werbeagentur scheinselbständig eingesetzt wurden.

Die Betreiberin einer Werbeagentur, die Zeitungszusteller beschäftigte, klagte gegen einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung (früher „BfA“). Die Werbeagentur betrachtete die Zeitungszusteller als freie und selbständig tätige Mitarbeiter, für die keine Versicherungsbeiträge abgeführt werden müssen. Die Deutsche Rentenversicherung forderte dagegen eine Nachzahlung von mehr als 15.000 DM an Sozialversicherungsbeiträgen.

Die Richter des Hessischen Landessozialgerichts stuften wie die Deutsche Rentenversicherung die Zeitungszusteller als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte ein. Neben dem umfassenden Weisungsrecht der Werbeagentur sprach nach Ansicht des Gerichts für eine abhängige Beschäftigung, dass eine Probezeit vereinbart war, Nebentätigkeiten angezeigt werden mussten und Vereinbarungen über bezahlten Jahresurlaub existierten. Zudem hätten die Zusteller kein Unternehmerrisiko tragen müssen, weder eigenes Kapital noch eigene Betriebsmittel ein-gesetzt und verfügten nicht über eine eigene Betriebsstätte. Insofern seien sie als abhängig Beschäftigte anzusehen und unterlägen der Sozialversicherungspflicht. Die Revision gegen das Urteil vom 27.4.2006 wurde nicht zugelassen.

Anmerkung:

Das Urteil zeigt wieder einmal die Unberechenbarkeit von Statusentscheidungen durch die Gerichte. Die Einordnung des Status als selbständig oder sozialversicherungspflichtig ist stets eine Frage des Einzelfalls (deswegen ist auch die Schlagzeile: Zeitungszusteller scheinselbständig falsch) und anhand einer Vielzahl von Kriterien im Rahmen einer Gesamtwürdigung vorzunehmen. Es gibt zahlreiche Urteile, in denen Einzelkriterien mal so oder so gedeutet wurden. Auch das LSG hat mit dem bezahlten Jahresurlaub ein Eigentor geschossen. Denn nach dem Bundesurlaubsgesetz haben auch wirtschaftlich abhängige Selbständige einen Rechtsanspruch auf Urlaub. Das Kriterium hätte das Landessozialgericht also gar nicht berücksichtigen dürfen. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, die sowohl für die Selbständigen (§ 2 Nr. 9 SGB VI) als auch die Auftraggeber existenzgefährdende Unsicherheit zu beenden. Gäbe es eine eindeutige einheitliche Regelung, würde dies im Wettbewerb nicht stören. Nur der aktuelle unsichere Zustand führt dazu, dass diejenigen, die sich auf die sichere Seite begeben und die Auftragnehmer versichern im Preiswettbewerb von denen unterboten werden, die ihre Mitarbeiter zu Recht oder zu Unrecht – das entscheidet am Ende ja die letzte Instanz – nicht versichern.

Michael Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser
Kündigung.de

RA Felser in der Capital zum Urlaubsanspruch für freie Mitarbeiter

BAG vom 15.11.2005 – 9 AZR 626/04

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