Das Problem der Scheinselbständigkeit von Mitarbeitern wird in vielen kleinen und grossen Unternehmen verdrängt. Nach dem Paketdienst German Parcel (Scheinselbständigkeit von Kurierfahrern) hat es nun auch ein bekanntes Automobilunternehmen beim Thema Werksarzt erwischt. Das hessische Landessozialgericht in Darmstadt hat am 25.1.2007 (Aktenzeichen L 8 KR 165/05 und L 8 KR 148/05) die Praxis bei Opel für rechtswidrig erklärt, die Bereitschaftsärzte im werksärztlichen Dienst als “freie Mitarbeiter” sozialversicherungsfrei zu beschäftigten. Nach Ansicht der Sozialrichter ist einneben der Ausbildung bei Opel tätiger Mediziner – anders als der fertig ausgebildete selbständig tätige Werksarzt – weisungsabhängig tätig und damit sozialversicherungspflichtig.
„Die Eingliederung hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsverrichtung ergibt sich aus den entsprechenden Vorgaben in der Vereinbarung vom 7. Dezember 1999 bzw. der Folgevereinbarung vom 6. Dezember 2000, welche Grundlage der Tätigkeit auch der Beigeladenen zu 1) war. Die Beigeladene zu 1) hatte ihre Tätigkeit in der Ambulanz des Werksärztlichen Dienstes der Klägerin an dem vereinbarten Termin von 16.45 bis 21.45 Uhr zu verrichten. Allerdings hat die Beigeladene zu 1) zu Recht darauf hingewiesen, dass allein deswegen eine abhängige Beschäftigung nicht bejaht werden kann, weil die Festlegung dieser Arbeitsbedingungen sich bei der hier zu verrichtenden Arbeit – dem Bereitschaftsdienst zur Unterstützung der Werksärzte der Klägerin außerhalb der Regelarbeitszeiten – aus der Sache heraus ergab. Deshalb stellt auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 9. Dezember 1981, 12 RK 4/81 = SozR 2400 § 2 Nr. 19) für die Tätigkeit eines Betriebsarztes nicht entscheidend darauf ab, dass diese Tätigkeit in den Räumen, mit den Mitteln und dem Personal des Vertragspartners verrichtet wird, sondern maßgeblich auf die Frage der inhaltlichen Weisungsabhängigkeit. Bei einem Betriebsarzt ist es ein wesentliches Indiz für eine selbständige Tätigkeit, wenn er/sie frei darüber zu entscheiden hat, ob und welche arbeitsmedizinischen Prüfungen und Untersuchungen vorgenommen werden oder welche sonstigen Maßnahmen zu treffen sind, wie die Maßnahmen durchzuführen sind und – innerhalb gewisser, häufig schon aus der Sache selbst (Arbeitszeiten des Betriebes etc.) sich ergebender Grenzen – auch zu welchem Zeitpunkt sie erfolgen sollen (BSG, a.a.O.).
An einer derartigen Weisungsfreiheit fehlt es jedoch im Fall der Beigeladenen zu 1). Diese war vielmehr in die Arbeitsorganisation des Werksärztlichen Dienstes und damit in den Betrieb der Klägerin hierarchisch eingegliedert. Ihre Aufgabe bestand in einer eng umrissenen Tätigkeit, nämlich der ärztlichen Erstversorgung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Klägerin. Hierbei war sie nicht selbständig, sondern unterlag einem umfassenden Weisungsrecht des diensthabenden Werksarztes. Dieses Weisungsrecht bringt bereits die Vereinbarung vom 7. Dezember 1999/6. Dezember 2000 in Ziffer 2 zum Ausdruck, wonach der diensthabende Werksarzt bei schweren Unfällen, Krankheits- und Vergiftungsfällen „verantwortlich entscheidet“. Sie folgt aber auch unmittelbar aus dem Status der Beigeladenen zu 1) als AiP, weil sie sich als solche noch in der Ausbildung befand und kraft ausdrücklicher berufsrechtlicher Anordnung nur unter der Aufsicht von approbierten Ärzten ärztlich tätig werden durfte (§ 34b Approbationsordnung für Ärzte in der bis zum 30. September 2003 geltenden Fassung). Der Gesetzgeber hat dies in der Amtlichen Begründung zum 4. Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung (BT-Drs. 10/1963 vom 13. September 1984) dahingehend konkretisiert, dass der Status als AiP es ermögliche, dass der AiP als Arzt arbeiten und dadurch die notwendigen ärztlichen Erfahrungen sammeln könne; durch die Aufsicht erfahrener Ärzte sei gewährleistet, dass er auf einer unteren Stufe innerhalb der ärztlichen Hierarchie seinem Ausbildungsstand gemäß tätig werde. Damit war die Situation des AiP dadurch gekennzeichnet, dass er/sie ärztlich tätig werden durfte und sollte, jedoch in untergeordneter, unselbständiger und abhängiger Stellung (Kroes, MedR 1994, 478, 480 m.w.N.). Die Beigeladene zu 1) war somit verpflichtet, allen Weisungen des diensthabenden Werksarztes hinsichtlich der Art und Weise der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit Folge zu leisten. Auch wenn die Versorgung alltäglicher Fälle in der Ambulanz des Werksärztlichen Dienstes von der Beigeladenen zu 1) weitestgehend eigenverantwortlich durchgeführt worden sein mag, so ist angesichts des rechtlichen Rahmens, in dem sie als AiP agieren durfte, damit kein Zweifel daran möglich, dass die Beigeladene zu 1) auch hinsichtlich der Art und Weise der Arbeitsausübung weisungsabhängig war.
Der Einwand der Beigeladenen zu 1), eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin scheide wegen der Seltenheit und der Kürze der Arbeitseinsätze aus, greift demgegenüber nicht durch. Die Beigeladene zu 1) verkennt, dass auch unständig Beschäftigte, die nur einen einzelnen Arbeitsauftrag oder auch mehrere, zeitlich getrennte Arbeitsaufträge ausführen, dennoch abhängig Beschäftigte sind, wenn die Kriterien der persönlichen Abhängigkeit und der Eingliederung in den Betrieb erfüllt sind (vgl. BSG, SozR 3-4100 § 4 Nr. 1; USK Nr. 8706). Es spielt deshalb keine Rolle, dass die Arbeitseinsätze der Beigeladenen zu 1) auf der Basis immer nur für einen Tag für fünf Stunden abgeschlossener Arbeitsverträge erfolgten.
Auch die Form der Vergütung der Beigeladenen zu 1) belegt, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat, ihre Arbeitnehmereigenschaft. Denn sie erhielt für jeden Arbeitseinsatz eine feste, im Vorhinein durch die Klägerin einseitig bestimmte Vergütung. Ein irgendwie geartetes Unternehmerrisiko trug die Beigeladene zu 1) dabei nicht, weil die Zahlung dieser Vergütung nicht von einem Erfolg ihrer Arbeit abhing. Dagegen macht allein die Tatsache, dass die Beigeladene zu 1) keine Vergütung erhielt, wenn sie wegen Krankheit oder aus anderen Gründen ihre Tätigkeit nicht ausüben konnte, und die Nichtzahlung arbeitnehmertypischer Leistungen wie z.B. Urlaubsgeld einen Arbeitnehmer noch nicht zum Selbständigen, es sei denn, diesem Risiko stehen größere Verdienstchancen oder größere Freiräume gegenüber (BSG, a.a.O.) Das war vorliegend nicht der Fall.
Ebenso wenig kommt es darauf an, dass für die AiP durch die Klägerin keine Sozialabgaben gezahlt wurden und diese ihre Vergütung selbst versteuerten. Denn all dies zeigt lediglich, dass die Parteien davon ausgingen, dass es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handelte. Diese rechtliche Fehlbewertung ändert aber an der allein an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpfende Bewertung der Vertragsbeziehung als Arbeitsverhältnis nichts.“
so LSG Hessen vom 25.1.2007 (Aktenzeichen L 8 KR 165/05 und L 8 KR 148/05)
Vorbeugen ist billiger als heilen. Unternehmen sollten ihre freien Mitarbeiter – nicht nur den Werksarzt – auf diese Problematik hin überprüfen.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
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