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Arbeitnehmer stöhnen zunehmend über die große Differenz zwischen Brutto und Netto auf der Gehaltsabrechnung. Daran werden die aktuellen Wahlversprechen, nach denen nach der Wahl die Steuern gesenkt werden sollen, nichts ändern. Der größte Abzugsposten sind nämlich die Sozialversicherungsbeiträge, die natürlich auch der Absicherung gegen Krankheit, Pflege, Arbeitslosigkeit und der Altersvorsorgen dienen.
Der Schritt in die Selbständigkeit verspricht hier oft zu Unrecht eine Lösung. Viele Selbständige ahnen nicht, dass sie rentenversicherungspflichtig oder gar scheinselbständig sind.
Selbständige, selbst Freiberufler wie IT-Berater oder auch freie Mitarbeiter in Architektenbüros, Arztpraxen, Steuerberatung und Anwaltskanzlei, aber auch Mietkellner, selbständige Handwerker oder andere selbständige Ein-Personen-Unternehmer glauben, dass sie als Selbständige keine Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen. Allerdings sieht das Sozialgesetzbuch in § 2 SGB VI für viele Selbständige eine Rentenversicherungspflicht vor. So müssen Lehrer (darunter fallen alle „Trainer“), die keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten, Rentenversicherungsbeiträge an die Deutsche Rentenversicherung abführen. Auch wenn sie nur im Nebenjob tätig sind. Das gleiche gilt für selbständige Pflegepersonen und bestimmte Handwerker. Der Gesetzgeber hat aber nicht nur bestimmte Berufsgruppen der Rentenversicherungspflicht unterworfen, sondern auch alle Selbständigen mit (im Wesentlichen) nur einem Auftraggeber. Diese sind nur dann nicht rentenversicherungspflichtig, wenn sie einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Das geht ins Geld, vor allem wenn es rückwirkend festgestellt wird. Die nachzuzahlenden Beiträge (zur Zeit entweder den Regelbeitrag in Höhe von 556,33 Euro oder 19,2 % der Einkünfte, berechnet aus dem steuerlichen Gewinn) können dann wegen der vierjährigen Verjährung knapp 33.000 Euro ausmachen.
Auftraggeber tragen allerdings das größere Risiko bei einer Beschäftigung vermeintlich selbständiger freier Mitarbeiter, Honorarkräfte und Freiberufler. Wenn vermeintlich freie Mitarbeiter scheinselbständig sind, trägt der Auftraggeber die rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge nämlich alleine. Immer öfter sogar für bis zu 30 Jahre rückwirkend und zzgl. Säumniszuschlägen und Nettolohnhochrechnung. Die Betriebsprüfer unterstellen immer öfter den dafür notwendigen Vorsatz (der bereits darin zu sehen sein kann, dass man sich aufdrängenden Zweifeln nicht nachgegangen ist). Das Risiko der Prüfung solcher Beschäftigungsverhältnisse ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Während bisher die Sozialversicherungsprüfungen beim Steuerberater eher als harmlos galten, dürfte das spätestens seit 2013 eine fahrlässige Annahme sein. Denn seit 2013 wirft jeder Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung einen Blick in die Finanzbuchhaltung, in der die Rechnungen der Selbständigen abgeheftet sind.
Im Visier der Betriebsprüfer stehen derzeit besonders Einrichtungen, die „Lehrer“ beschäftigen (Sprachschulen, Nachhilfeschulen und alle Einrichtungen, die Kurse anbieten). Aktuell wird sogar gegen das Goethe-Institut ermittelt. Aber auch Vermittler von selbständigen Messehostessen, Bauunternehmen, Gastronomen, Landwirte und Kurier- und Lieferdienste sollten die Beschäftigung von selbständigen Mitarbeitern überprüfen – bevor es die Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung tun.
Mein Steuerberater hat das geprüft, höre ich oft. Steuerberater, die die Lohn- und Finanzbuchhaltung für ihre Mandanten erledigen, dürfen nach Ansicht des Bundessozialgerichts zwar nicht in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten beraten, trotzdem droht ihnen eine Haftung für Nachforderungen, wenn sie ihre Mandanten bei erkennbaren Zweifel am Status einer Selbständigkeit oder Beschäftigung von Selbständigen nicht warnen und eine Prüfung durch einen im Thema versierten Anwalt empfehlen . Den Nachweis eines entsprechenden Hinweises muss der Steuerberater im Streitfall führen, weil die Gerichte annehmen, dass der Mandant sich beratungsgerecht verhalten hätte. Steuerberater, die bei diesem Thema erstaunlich häufig diversen Rechtsirrtümern unterliegen, sollten aber auch die Beschäftigung ihrer eigenen freien Mitarbeiter wie selbständiger Buchhalter oder Steuerberater kritisch überprüfen. In Baden-Württemberg wurde ein Steuerberater Ende 2016 zu einer fünfstelligen Geldstrafe verurteilt, weil er eine nebenberuflich selbständige Steuerfachgehilfin beschäftigt hatte.
Gehen Sie zum Anwalt, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Der teuerste Rat ist der falsche Rat.
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