VG Frankfurt: Altersgrenze 65 bei Beamten und Richtern stellt Altersdiskriminierung dar

Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat in mehreren Entscheidungen das Land Hessen zur Weiterbeschäftigung eines Beamten (Lehrer), eines Richters (Richterin am Amtsgericht) und eines Staatsanwalts verurteilt, weil die Altersgrenze von 65 die Kläger wegen des Alters diskriminiert.

Zunächst hatte das VG Frankfurt (Urteil vom 20.08.2012 Aktenzeichen: 9 K 4663/11.F) festgestellt, dass das Land Hessen einen Staatsanwalt über das 65. Lebensjahr hinaus weiterbeschäftigen muß. Mit Beschluß vom 16.05.2013 (Aktenzeichen 9 L 1393/13.F) ordnete das Verwaltungsgericht Frankfurt die Weiterbeschäftigung einer Richterin am Amtsgericht an. am 15.7.2013 schließlich beschloß das VG Frankfurt am Main (Aktenzeichen: 9 L 2184/13.F), dass das Land einen Studienrat auch über die Altersgrenze 65 hinaus weiterbeschäftigen müsse.

Das Verwaltungsgericht stützt seine Rechtsprechung auf das aus EU-Recht (Richtlinien und Grundrechtscharta) folgende Verbot der Altersdiskriminierung.

Die Rechtsansicht ist zwar nicht unumstritten. So hat das OVG Rheinland-Pfalz (allerdings nicht überzeugend: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.02.2011 – 2 A 11201/10.OVG) das automatische Ausscheiden von Beamten mit Erreichen der Altergrenze 65 als EU-Rechtskonform angesehen.Das VG Frankfurt hat jedoch wiederholt, gerade bei der Anwendung von EU-Recht auf Beamte Recht behalten. Das OVG Rheinland-Pfalz war bisher dagegen der – irrigen – Ansicht, dass die EU-Richtlinien für Beamte nicht gelten (so bei der Frage der Urlaubsabgeltung für dienstunfähige Beamte) und mußte vom Bundesverwaltungsgericht korrigiert werden.

Ist die Rechtslage in NRW, anderen Bundesländern und bei Bundesbeamten vergleichbar? Ja, es gibt keine Unterschiede bei den maßgeblichen Rechtsnormen.

Was müssen Beamte, Richter und Staatsanwälte, die über das 65. Lebensjahr hinaus arbeiten wollen, jetzt tun, obwohl die Rechtslage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist? In jedem Fall muss der Bescheid über die Zurruhesetzung fristgerecht angegriffen werden, weil er sonst bestandskräftig wird und dann nicht mehr angegriffen werden kann – auch wenn das BVerwG erst Jahre später die Altersgrenze als altersdiskriminierend ansieht. Die Gerichte verlangen auch bei unklarer oder sogar entgegenstehender Rechtsprechung, dass Beamte die Bescheide fristgerecht anfechten bzw. Widerspruch einlegen.

Auch wer unmittelbar vor der Zurruhesetzung steht, kann wie der Lehrer und die Richterin per einstweiliger Anordnung seine (vorläufige) Weiterbeschäftigung über das 65- Lebensjahr hinaus durchsetzen. Dazu ist zunächst schriftlich die Weiterbeschäftigung zu beantragen, gegen den voraussichtlich ablehnenden Bescheid ist Widerspruch zu erheben bzw. u.U. unmittelbar Klage zu erheben bzw. einstweilige Anordnung zu beantragen.

UPDATE 31.10.2013: Der VGH Frankfurt hat den erstinstanztlichen Beschluß im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz aufgehoben und die Versetzung in den Ruhestand für wirksam erklärt. Es bleibt jetzt abzuwarten, ob das Verfahren in der Hauptsache (erste Instanz) fortgesetzt und möglicherweise dem EuGH vorgelegt wird.

Auszug aus dem erstinstanzlichen Beschluß des VG Frankfurt (Studienrat):

„1. Der Anspruch des Antragstellers, weiterhin im aktiven Beamtenverhältnis beschäftigt zu werden, beruht auf der Nichtanwendbarkeit der Regelung des § 50 HBG über die allgemeine Regelaltersgrenze für den vorliegenden Fall. Diese Regelung ist nicht anwendbar, weil sie in Widerspruch zur – hier einschlägigen, höherrangigen und unmittelbar Gültigkeit beanspruchenden (vgl. VG Frankfurt, B. v. 06.08.2009, 9 L 1887/09– juris Rdn. 36 ff. m.w.N) – RL 2000/78/EG steht. Nach Art. 6Abs. 1 dieser RL sind Ungleichbehandlungen wegen des Alters –eine solche liegt beim Ruhestandseintritt infolge des Erreichens einer allgemeinen Altersgrenze unstreitig vor (vgl. EuGH, U. v.21.07.2011 – Rs. C-159/10, C-160/10, – juris Rn. 33; BVerwG,B. v. 21.12.2011 – 2 B 94/11 – juris Rdn. 8) –gerechtfertigt, sofern sie zur Erreichung rechtmäßiger Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt angemessen und erforderlich sind. In Anwendung dieser Bestimmung hat der EuGH mit Urteil vom 21.7.2011 (a.a.O.) entschieden, dass die RL 2000/78/EGeinem Gesetz wie § 50 HBG, das die zwangsweise Versetzung von Beamten auf Lebenszeit in den Ruhestand mit Vollendung des 65.Lebensjahrs vorsieht, wobei sie höchstens bis zum 68. Lebensjahr weiterarbeiten dürfen, wenn es im dienstlichen Interesse liegt,nicht entgegensteht, sofern dieses Gesetz zum Ziel hat, eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen, um die Einstellung und Beförderung von jüngeren Berufsangehörigen zu begünstigen, die Personalplanung zu optimieren und damit Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit des Beschäftigten, seine Tätigkeit über ein bestimmtes Alter hinaus auszuüben, vorzubeugen, und es die Erreichung dieses Ziels mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ermöglicht. Zwar kann seit der Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Dienstrechts in Hessen (Zweites Dienstrechtmodernisierungsgesetz v. 27.5.2013 – 2. DRModG,GVBl. S. 218) ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Ziele auch vom Beklagten verfolgt werden (vgl. zur Problematik der Identifikation gesetzgeberischer Ziele für den davorliegenden Zeitraum VG Frankfurt, U. v. 20.08.2012 – 9 K 4663/11.F – juris Rdn. 57 ff.). Denn der von den Regierungsfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf für das 2. DRModG enthält eine eingehende Beschreibung der mit der allgemeinen Altersgrenze verfolgten Ziele (vgl. LT-Drs. 18/6558, S. 236 f.). Weil diese inhaltlich weitgehend mit den Erwägungen des EuGH zur möglichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen des Alters nach Maßgabe von Art. 6 Abs.1 RL 2000/78/EG konform gehen, steht – im Gegensatz zur bis dahin bestehenden Lage – nicht (mehr) in Zweifel, dass der Gesetzgeber mit § 50 HBG legitime Ziele verfolgt. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Zielbeschreibung auf die Altersgrenzenregelung des am 1.3.2014 in Kraft tretenden HBGbezieht. Da sich die dort getroffene Regelung (§ 33 HBG n. F.) im hier maßgebenden Punkt nicht von § 50 HBG in der derzeit noch geltenden Fassung unterscheidet, ist es gerechtfertigt, bereits dieser Regelung die im Entwurf des 2. DRModG enthaltene Angabe der mit der Ruhestandsregelung verfolgten Ziele zugrunde zu legen.

Allerdings hat der EuGH auch festgestellt, dass die Mitgliedstaaten das in der RL 2000/78/EG aufgestellte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters nicht aushöhlen dürfen, und dass dieses Verbot im Licht des in Art. 15 Abs. 1 GRCh anerkannten Rechts, zu arbeiten, zu sehen ist (EuGH, a. a. O., Rn. 62 f.).Daraus folgt, so der EuGH weiter, dass auf die Teilnahme älterer Arbeitnehmer am Berufsleben – und damit am wirtschaftlichen,kulturellen und sozialen Leben – besonderes Augenmerk zu richten ist, weil ihr Verbleiben im Berufsleben die Vielfalt im Bereich der Beschäftigung fördert und entsprechend dem Anliegen des Unionsgesetzgebers zur persönlichen Entfaltung und zur Lebensqualität dieser Arbeitnehmer beiträgt (EuGH, a.a.O, Rn. 63).Vor diesem normativen Hintergrund, der dem Gesetzgeber einen behutsamen Umgang auch mit den Interessen älterer Arbeitnehmer abverlangt, erweist sich die Regelung des § 50 Abs. 1 HBG i. V. m.§ 50 Abs. 3 S. 1 HBG hier als nicht angemessen und erforderlich,die angestrebten Ziele zu erreichen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Angemessenheit und Erforderlichkeit einer allgemeinen Altersgrenze nachgewiesen, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheint und auf Beweismittel gestützt ist, deren Beweiskraft das nationale Gericht zu beurteilen hat (EuGH, a. a. O., Rn. 83.). Für die Berufsgruppe der Staatsanwälte hat der EuGH insoweit festgestellt,dass eine Regelung wie § 50 HBG nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist, eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen. Tatsächliche Grundlage für diese Feststellung war unter anderem der Vortrag des Landes Hessen, dass freie Planstellen im öffentlichen Dienst – vor allem für Staatsanwälte und dort insbesondere in den höheren Besoldungsgruppen – nur in begrenzter Zahl zur Verfügung stünden. In Anbetracht der Haushaltszwänge sei die Möglichkeit,neue Stellen zu schaffen, beschränkt. Ein vorzeitiges freiwilliges Ausscheiden von Staatsanwälten sei die Ausnahme. Die Festlegung einer verbindlichen Altersgrenze für ihren Übertritt in den Ruhestand sei das einzige Mittel, die Beschäftigung gerecht zwischen den Generationen zu verteilen (EuGH, a. a. O., Rn.57).

Diese die Entscheidung des EuGH tragenden Gesichtspunkte können auf die Berufsgruppe der beamteten Lehrer, zu der der Antragsteller gehört, nicht übertragen werden. Dies gilt namentlich für die Frage, in welchem Umfang die Angehörigen der Berufsgruppe der Lehrer freiwillig vorzeitig ausscheiden. Eine darauf bezogene Feststellung hat der Antragsgegner, der insoweit lediglich auf die für ihn streitende Rechtsprechung zu § 50 HBG verweist, im vorliegenden Verfahren nicht getroffen. Nach den im Verfahren 9 K4663/11.F gewonnenen Erkenntnissen der Kammer liegt es auch nicht nahe, die zur Berufsgruppe der Staatsanwälte getroffenen Feststellungen auf die Berufsgruppe der Lehrer zu übertragen. Auf der Grundlage der vom Gericht erbetenen Angaben des Landes Hessen zu den Ruhestandseintritten in der gesamten Landesverwaltung, also ohne Differenzierung nach Berufsgruppen, wurde dort die Feststellung getroffen, dass in den Jahren 2006 bis 2010 bezogen auf die seinerzeitige Regelaltersgrenze in Gestalt der Vollendung des 65. Lebensjahres der Anteil der zuvor freiwillig in den Ruhestand gewechselten Beamtinnen und Beamten 45,62% beträgt (VGFrankfurt, U. v. 20.8.2012 – 9 K 4663/11 – juris Rn. 28).Schon hieraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die vom Land Hessen im Prozess vor dem EuGH zum vorzeitigen Ruhestandseintritt von Staatsanwälten getroffene Aussage auf Lehrer wahrscheinlich nicht zutrifft. Soweit bekannt, ist die Zahl der vorzeitigen Ruhestandseintritte in der Berufsgruppe der Lehrer gewichtig. In der Presse wird berichtet, dass allein der Anteil der wegen Dienstunfähigkeit frühpensionierten Lehrer 20% beträgt (Spiegel-online vom 4.7.2013).

Dass der Gesetzgeber eine bereichsspezifische und differenzierte, also mindestens an Berufsgruppen, unter Umständen aber auch an Laufbahnen orientierte Betrachtungsweise vornehmen muss, ergibt sich aus dem Urteil des EuGH vom 21.7.2011 (a.a.O.).Sowohl die Argumentation des Landes Hessen als auch die tragenden Erwägungen des Urteils verstehen sich nur vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Kläger in diesem Verfahren um einen Staatsanwalt handelte (vgl. Rn. 57 ff., Rn. 67 f.). Nur „unter diesen Umständen“ erscheint „eine Maßnahme wie § 50 Abs. 1HBG“ nicht unvernünftig (Rn. 60). Liegen aber, wie hier,ersichtlich andere Umstände vor, sprechen Gründe der Vernunft dafür, diese Umstände zunächst einer genauen Betrachtung zu unterziehen, um auf dieser Basis eine prognostische Entscheidung darüber treffen zu können, welche Maßnahmen unter diesen Umständen für angemessen und erforderlich gehalten werden. Werden demgegenüber die für Staatsanwälte als angemessen und erforderlich angesehenen Maßnahmen unbesehen auf Angehörige von Berufsgruppen übertragen, deren Biographien typischerweise von anderen Umständen geprägt sind, führt diese formale Gleichbehandlung zwangsläufig zu einer faktischen Diskriminierung. Auch das BVerwG hat insoweit lediglich festgestellt, dass mit dem Urteil des EuGH vom 21.7.2011geklärt sei, dass eine allgemeine Altersgrenze mit der Richtlinie 2000/78/EG „vereinbar sein kann“ (BVerwG, B. v.6.12.2011 – 2 B 85/11 – juris Rn. 7), was bedeutet, dass unter anderen Voraussetzungen gegebenenfalls auch andere Folgerungen gezogen werden müssen.

Es wäre hier deshalb notwendig gewesen, dass der Gesetzgeber eine auf Tatsachen basierende Prognose über den Anteil derjenigen Lehrer und Lehrerinnen trifft, die vorzeitig in Ruhestand treten,die mit der Regelaltersgrenze in Ruhestand treten und die ggf. über die Altersgrenze hinaus tätig sein wollen, um eine vernünftige, die widerstreitenden Interessen zum Ausgleich bringende Regelung über den Ruhestandseintritt von Angehörigen dieser Berufsgruppe treffen zu können. Denn eine für jeden Beamten bzw. jede Beamtin gleichermaßen geltende Altersgrenze erscheint vor dem Hintergrund des in Art. 15 Abs.1 GRCh garantierten Rechts, zu arbeiten, umso weniger zur Zielerreichung erforderlich, je mehr Beamte und Beamtinnen vor dem Erreichen dieser Altersgrenze in Ruhestand gehen, gleich aus welchem Grund. Es ist infolgedessen auch denkbar,dass die prognostizierte Zahl derjenigen Beamten und Beamtinnen einer bestimmten Berufsgruppe, die trotz Erreichens der Altersgrenze weiter ihren Dienst verrichten wollen, sich als so gering erweist, dass nach Einschätzung des Gesetzgebers die Zielsetzung – ausgewogene Altersstruktur, Förderung des Zugangs jüngerer Personen usw. – auch dann gewahrt bleibt,wenn das Erreichen der allgemeinen Altersgrenze lediglich als das Recht des Beamten bzw. der Beamtin angesehen wird, ohne Versorgungsabschläge Ruhegehalt zu beziehen, und nicht gleichzeitig als Zwang, im bisherigen Beruf nicht mehr arbeiten zu dürfen.

Sowohl die Entscheidung darüber, ob eine andere Regelung getroffen wird, als auch in welcher Form sie gegebenenfalls getroffen wird, liegt zwar im weiten, gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Ermessen des Gesetzgebers (vgl. EuGH, a.a.O., Rn.80). Hier hat der Gesetzgeber sein Ermessen allerdings überhaupt nicht ausgeübt. Der Vortrag, die in § 50 HBG geregelte allgemeine Altersgrenze sei eine angemessene und notwendige Maßnahme, die angegebenen Ziele zu erreichen, ist eine allgemeine Behauptung, für die der Gesetzgeber keinen Beweis erbracht hat (vgl. EuGH, a.a.O.,Rn. 77 ff.). Sie beruht, wie oben ausgeführt, darauf, dass der Gesetzgeber die für Staatsanwälte geltenden Maßstäbe unbesehen auf alle Berufsgruppen übertragen hat. Eine solche pauschalierende Betrachtungsweise wird dem Gebot, Diskriminierungen zu vermeiden, aber nicht gerecht.

Im Übrigen hat die Kammer für die Berufsgruppe der Staatsanwälte in ihrem bereits erwähnten Urteil vom 20.8.2012 im Einzelnen ausgeführt, dass auch insoweit keine ausreichenden Erwägungen darüber angestellt wurden, ob es angesichts des zahlenmäßig sehr geringen Anteils von Personen, die über die Altersgrenze hinaus im Beamtenverhältnis verbleiben wollen, noch angemessen und erforderlich ist, die Altersgrenze als zwingende Entlassungsbedingung beizubehalten. Die Entwurfsbegründung des 2.DRModG greift dies nur insoweit auf, wie dort ausgeführt wird, die meisten Beamten wollten ohnehin nicht über die Altersgrenze hinaus im Beamtenverhältnis tätig bleiben. Daraus zieht die Entwurfsbegründung jedoch nicht den Schluss, gerade im Hinblick darauf die aus seiner Sicht maßgebenden Erwägungen für die Beibehaltung der Entlassungsbedingung mitzuteilen. Der Bezug auf einen allgemeinen gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der Altersgrenze macht derartige Erwägungen zur konkreten Verhältnismäßigkeit nicht entbehrlich.

Der hessische Gesetzgeber hat seine Entscheidung über die Notwendigkeit der Beibehaltung einer allgemeinen Altersgrenze auch nicht auf Tatsachen – also „Beweismittel“ im Sinn der Rechtsprechung des EuGH – gestützt, die es dem Gericht ermöglichen, die ihm obliegende Überprüfung der Angemessenheit und Notwendigkeit dieser Maßnahme positiv festzustellen. Denn die Entwurfsbegründung enthält keinerlei statistische Angaben oder sonstige quantifizierende Aussagen über den Anteil von Frühpensionierungen im Bereich der Landesverwaltung und somit auch keine bereichsspezifischen, auf Berufsgruppen bezogene Feststellungen dieser Art. Das Fehlen solcher Angaben geht zu Lasten des – insoweit beweispflichtigen (EuGH, a.a.O., Rn.78) – Antragsgegners. Denn das erkennende Gericht, das die der gesetzgeberischen Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen hat (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 82), hat wegen der im Verfahren 9 K 4663/11.F gewonnenen Erkenntnisse über den Anteil von Frühpensionierungen im Bereich der allgemeinen Landesverwaltung,auf die oben bereits hingewiesen worden ist, keine Veranlassung zu der Annahme, den gesetzgeberischen Erwägungen liege gleichsam unausgesprochen eine Tatsachenbasis zugrunde, die eine allgemeine Regelaltersgrenze für die hier in Rede stehende Berufsgruppe der Lehrer als einzigen Weg erscheinen ließe, um das Ziel einer „Arbeitsteilung zwischen den Generationen“ (LT-Drs.18/6558, S. 237) zu erreichen.

Gegen eine solche Annahme sprechen nicht zuletzt auch die abschließenden Bemerkungen in der Entwurfsbegründung. Dort heißt es, dass die meisten Bediensteten auch nach Erreichen der Altersgrenze gar nicht länger arbeiten wollten, da ihnen nach dem Verlust ihrer Besoldung das Ruhegehalt einen Einkommensersatz biete (LT-Drs., a.a.O.). Allein auf der Grundlage dieser eigenen Einschätzung hätte es sich dem hessischen Gesetzgeber aufdrängen müssen, unter Berücksichtigung des Art. 15 Abs. 1 GRCh und der Bedeutung, die das Recht auf Arbeit für die individuelle Entfaltung der Bürger hat (vgl. Erwägungsgrund 9 der RL 2000/78/EG),alternative Überlegungen über den zwangsweisen Ruhestand der Beamten anzustellen. Es liegt zwar nicht in der Kompetenz des Gerichts, darüber zu befinden, ob der Gesetzgeber dabei zu einer anderen Lösung hätte kommen oder wie sie gegebenenfalls hätte ausgestaltet werden müssen. Hier hat der Gesetzgeber eine Alternativlösung aber noch nicht einmal erwogen, obwohl er – zumal er selbst von einer geringen Zahl von „Verlängerern“ausgeht – vernünftigerweise auch solche Erwägungen hätte anstellen müssen, anstatt es bei dem Verweis darauf zu belassen, dass eine allgemeine Regelaltersgrenze seit Langem üblich und seit vielen Jahren Ausdruck eines politischen und sozialen Konsenses sei (LT-Drs. 18/6558, S. 237). In der verwaltungsrechtlichen Terminologie würde man hier von einem Ermessensausfall sprechen (vgl. BayVGH, B. v. 18.06.2013 – 7 CE 13.962 – juris, Rn.19). Einer in einem solchen Verfahren zu Stande gekommenen Maßnahme gleichwohl zu attestieren, sie erscheine „nicht unvernünftig“ (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 83), ist nicht möglich.

Es liegt auch nicht auf der Hand, dass für jede Berufsgruppe und in jeder denkbaren Konstellation eine allgemeine Altersgrenze die einzige Möglichkeit wäre, dem Ziel einer „Arbeitsteilung zwischen den Generationen“ gerecht zu werden, wie dies im Fall der Berufsgruppe der Staatsanwälte seitens des Landes Hessen gegenüber dem EuGH vorgetragen worden war (EuGH, a.a.O., Rn. 57);nur in diesem Fall aber müsste die hier in Streit stehende Regelung trotz fehlender Alternativerwägungen als gleichwohl angemessen und erforderlich angesehen werden. Würde beispielsweise innerhalb einer großen Berufsgruppe wie etwa der beamteten Lehrkräfte nur vereinzelt der Wunsch geäußert, länger arbeiten zu dürfen, wäre auch die Einschätzung denkbar und vertretbar, dass ein weiterer Verbleib dieser wenigen Beamten und Beamtinnen im aktiven Dienst das Ziel der Generationengerechtigkeit nicht spürbar oder nur sehr geringfügig beeinträchtigte, und dass eine geringfügige Beeinträchtigung angesichts der Bedeutung des Rechts, arbeiten zu dürfen, als Ausdruck einer Abwägung widerstreitender Interessen hingenommen werden müsse oder jedenfalls könne. Für diese Beamten und Beamtinnen würde spätestens der Wegfall ihrer Dienstfähigkeit den zwangsweisen Eintritt in den Ruhestand begründen, was sowohl durch eine verallgemeinernde gesetzliche Regelung statuiert (beispielsweise mit der Vollendung des 70. Lebensjahrs, vgl. § 50a HBG) als auch durch individuelle Überprüfungen (die der Betroffene um den Preis des Eintritts in den Ruhestands vermeiden dürfte)festgestellt werden könnte.

Die Regelung des § 50a HBG – sie verleiht hier dem Antragsteller jedenfalls deshalb keinen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchsetzbaren selbständigen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, weil die auf ihrer Grundlage getroffene Entscheidung des Antragsgegners vom 03.05.2013 unter Beachtung des ihm danach zustehenden weiten Organisationsermessens frei von Rechtsfehlern ist (vgl. zu einem vergleichbaren Fall im Einzelnen VG Frankfurt, B. v. 6.8.2009 – 9 L 1887/09.F – juris Rdn. 29ff. sowie HessVGH, B. v.28.9.2009 – 1 B 2487/09 – juris Rn.3) – enthält unter dem Gesichtspunkt der Kohärenz (vgl. hierzu EuGH, a.a.O., Rn. 85) keine hinreichend tragfähigen Ansätze für die Annahme, dass damit dem Ziel der Vermeidung von Altersdiskriminierung wirksam entgegengewirkt werden soll. Nach dieser Bestimmung kann, wenn es im dienstlichen Interesse liegt,der Eintritt in den Ruhestand über die Altersgrenze hinaus um eine bestimmte Frist hinausgeschoben werden. Ungeachtet der Frage, ob und bejahendenfalls unter welchen Maßgaben diese Bestimmung dem Beamten überhaupt ein subjektives Recht einräumen will (vgl. VG Frankfurt, B. v. 6.8.2009, a.a.O. – juris Rn. 29, mit Nachweisen auch zu vergleichbaren Regelungen in anderen Bundesländern), ist ersichtlich, dass mit dieser Regelung jedenfalls nicht der Zweck verfolgt wird, Diskriminierungen wegen des Lebensalters zu verhindern oder deren Folgen abzumildern. Dies ergibt sich aus der Zweckbestimmung des Gesetzes, wonach das Hinausschieben des Ruhestands nur dann erfolgen darf, wenn es im dienstlichen Interesse liegt. Das Recht des Beamten, zu arbeiten (Art. 15 Abs. 1 GRCh), oder die Bedeutung, die das Recht auf Arbeit für die individuelle Entfaltung der Bürger hat (vgl. Erwägungsgrund 9 der RL 2000/78/EG), sind demgegenüber keine Zwecksetzungen des §50a HBG. Auch der Antragsgegner versteht, wie die Begründung des Bescheids vom 3. Mai 2013 zeigt, die Zwecksetzung des § 50a HBG nicht (auch) in der Vermeidung von Altersdiskriminierungen.“

UPDATE 31.10.2013: Der VGH Frankfurt hat den erstinstanztlichen Beschluß im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz aufgehoben und die Versetzung in den Ruhestand für wirksam erklärt. Es bleibt jetzt abzuwarten, ob das Verfahren in der Hauptsache (erste Instanz) fortgesetzt und möglicherweise dem EuGH vorgelegt wird.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt

 

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