Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung

Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung: Auch die Wahl der Schwerbehindertenvertretung bzw. der Vertrauensperson der Schwerbehinderten kann wie eine Betriebsratswahl vor dem Arbeitsgericht angefochten werden. In letzter Zeit häufen sich auch die entsprechenden Verfahren vor den Arbeitsgerichten. Zwei typische Fehler scheinen bei der Wahl der Vertretungen der Schwerbehinderten häufig vorzukommen.

Gründe für eine Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung
Häufige Fehler bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung bzw. der Vertrauensperson der Schwerbehinderten

Ein verbreiteter Fehler bei der Wahl ist die Verkennung der Wahlberechtigung. Wahlberechtigt sind nämlich alle „im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen – ohne Rücksicht auf Lebensalter oder Dauer der Betriebszugehörigkeit (…). Maßgeblich ist die tatsächliche überwiegende Beschäftigung im betreffendem Betrieb und nicht das Bestehen eines Arbeitsvertrages mit dem Betriebsinhaber. Schon im Wortlaut der Vorschrift reicht der Begriff der „Beschäftigung“ weiter als der der „Arbeit“. Außerdem ist es Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung, die Interessen aller schwerbehinderten Menschen im Betrieb zu vertreten und nicht nur die der schwerbehinderten Arbeitnehmer. Daher sind wahlberechtigt z. B. auch ABM-Kräfte, Personen mit einer Beschäftigung aus caritativen oder religiösen Gründen oder überwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung oder Erziehung nach § 73 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB IX Tätige. Wahlberechtigt sind auch schwerbehinderte Menschen, die an Maßnahmen zur Rehabilitation in einem privatwirtschaftlichen Berufsbildungswerk teilnehmen (Rehabilitanden). Gleichgestellte sind vom Zeitpunkt der Gleichstellung an ebenfalls wahlberechtigt; (vgl. zum Ganzen: Knittel, Kommentar zum SGB IX, 6. Aufl., § 94, Rn. 28 ff. m. w. N.).“, so das Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 28. Mai 2014 – 8 TaBV 34/12 –, juris.

Ein vermutlich genauso verbreiteter Fehler ist die Nichtbekanntmachung der Öffnung der Briefumschläge bei allgemeiner Briefwahl.

„Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO hat die Öffnung der Freiumschläge „unmittelbar vor Abschluss der Wahl“ zu erfolgen. Erfolgt eine Wahl im Wege der persönlichen Stimmabgabe und werden nur den an der persönlichen Stimmabgabe verhinderten Wahlberechtigten nach § 11 Abs. 1 SchwbVWO Briefwahlunterlagen übersandt, haben die nach § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO vom Wahlvorstand vorzunehmenden Handlungen unmittelbar vor dem Abschluss des in § 10 SchwbVWO näher beschriebenen Wahlvorgangs zu erfolgen (vgl. zu § 26 WO Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. § 26 WO Rn. 2; Fitting 26. Aufl. § 26 WO 2001 Rn. 3). Wenn der Wahlvorstand nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die allgemeine schriftliche Stimmabgabe beschließt, entfällt der Wahlvorgang nach § 10 SchwbVWO. Das ändert jedoch nichts daran, dass die in § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO beschriebenen Vorgänge in öffentlicher Sitzung zu erfolgen haben. Da es aber in einem solchen Fall an einer persönlichen Stimmabgabe fehlt, deren Ort, Tag und Zeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SchwbVWO mitzuteilen wäre, muss der Wahlvorstand, um dem Erfordernis der Öffentlichkeit zu genügen, rechtzeitig Ort und Zeit der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO geregelten Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen bekannt geben. Dabei muss der Hinweis nicht notwendig bereits im Wahlausschreiben enthalten sein, sondern kann auch auf andere Weise erfolgen (vgl. dazu auch BAG 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 96, 233).

dd) § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO ist eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren, deren Verletzung nach § 19 Abs. 1 BetrVG iVm. § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX geeignet ist, die Anfechtung der Wahl zu rechtfertigen (vgl. zu § 26 Abs. 1 WO Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. § 26 WO Rn. 2 mwN).“ so das BAG, Beschluss vom 10. Juli 2013 – 7 ABR 83/11 –, juris.

Jedenfalls dann, wenn keine persönliche Stimmabgabe erfolgt, sondern der Wahlvorstand die allgemeine schriftliche Stimmabgabe durch Briefwahl beschlossen hat, muss – entweder im Wahlausschreiben selbst oder auf andere Art und Weise, die sicherstellt, dass alle Wahlberechtigten davon Kenntnis haben – der Wahlvorstand Ort und Zeit der öffentlichen Öffnung der Briefwahlunterlagen bekanntmachen. Tut er dies nicht, ist die Wahl anfechtbar und wird vom Arbeitsgericht für unwirksam erklärt.

Frist für die Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung und der Stellvertreter

Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung und der Stellvertreter der Schwerbehindertenvertretung muß innerhalb der entsprechend anzuwendenden zweiwöchigen Anfechtungsfrist des § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten werden (BAG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 7 ABR 23/12 –, juris). Nach Ablauf dieser Frist kann nur noch die Nichtigkeit der Wahl geltend gemacht werden, die allerdings nur ganz selten anzunehmen ist, nämlich in Fällen, „in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Voraussetzung ist, dass der Mangel offenkundig und deshalb ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“ (st. Rspr., vgl. BAG 20. April 2005 – 7 ABR 44/04 – zu B III 3 der Gründe, BAGE 114, 228; 21. September 2011 – 7 ABR 54/10 – Rn. 26 mwN, BAGE 139, 197).“ so BAG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 7 ABR 23/12 –, juris.

Tipp für eine rechtssichere Wahl der Schwerbehindertenvertretung bwz. der Vertrauensperson der Schwerbehinderten ohne Anfechtung der Wahl

Der Wahlvorstand sollte eine bewährte Software einsetzen, die Fehler bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung vermeiden hilft. Empfehlenswert ist die Software aus dem Bund-Verlag von Nils Bolwig „Wahl der Schwerbehindertenvertretung 2014 mit CD-ROM“.

Ausserdem kann der Wahlvorstand einen Rechtsanwalt zur Beratung hinzuziehen, wenn er trotz Handlungshilfen oder Kommentaren noch Fragen hat und die Anfechtung vermeiden will. Die Kosten der Wahl trägt nach § 94 Abs. 6 SGB IX der Arbeitgeber. In der Vorschrift heißt es:

„Im Übrigen sind die Vorschriften über die Wahlanfechtung, den Wahlschutz und die Wahlkosten bei der Wahl des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidialrates sinngemäß anzuwenden.“

Der Wahlvorstand zur Wahl des Betriebsrats einen Rechtsanwalt als Sachverständigen hinzuziehen.

„Auch für den Wahlvorstand kann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständigen zur Durchführung der ordnungsgemäßen Wahl erforderlich sein.“ so BAG, Beschluss vom 11. November 2009 – 7 ABR 26/08 –, BAGE 132, 232-239.

Zur Vermeidung einer Anfechtbarkeit der Wahl ist die Schulung aller Wahlvorstandsmitglieder erforderlich, die Kosten trägt der Arbeitgeber. Sinnvoll können auch Inhouseschulungen sein.

„Zur Betätigung im Wahlvorstand gehört auch die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung zur Unterweisung in die Aufgaben eines Wahlvorstandes (BAG 7. Juni 1984 – 6 AZR 3/82 – AP BetrVG 1972 § 20 Nr. 10, Rn. 13; 5. März 1974 – 1 AZR 50/73 – AP BetrVG 1972 § 20 Nr. 5). Das Arbeitsentgelt ist daher auch fortzuzahlen (und folglich Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben), soweit die Mitglieder des Wahlvorstandes Arbeitszeit infolge einer notwendigen und angemessenen Schulung zum Zwecke einer ordnungsgemäßen Vorbereitung und Durchführung der Wahl versäumen (Fitting BetrVG 25. Auflage § 20 Rn. 48 m.w.N.; GK-Kreutz BetrVG § 20 Rn. 60; Richardi/Thüsing BetrVG § 20 Rn. 43). Im Allgemeinen ist jedenfalls jedem stimmberechtigten Wahlvorstandsmitglied, das erstmals mit dieser Aufgabe betraut wird, in der Regel eine kurzfristige Schulung zuzugestehen (Fitting BetrVG 25. Auflage § 20 Rn. 39; Ahlburg AiB 2009, 399 ff.).“

so das Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 14. März 2012 – H 6 Sa 116/11 –, juris

Nach § 94 Abs. 6 SGBIX gilt sowohl die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständigen als auch die Notwendigkeit der Schulung der Wahlvorstandsmitglieder auch für den Wahlvorstand zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung bzw. der Vertrauensperson der Scchwerbehinderten.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte (Brühl und Köln)
Berater von Schwerbehindertenvertretungen bzw. Vertrauenspersonen der Schwerbehinderten u.a. bei der Deutschen Post AG in Bonn

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