Neuer Maßstab für die gesundheitliche Eignung von Beamten bei der Verbeamtung auf Lebenszeit: Im Juli 2013 hat das Bundesverwaltungsgericht eine überfällige, aber gleichwohl fast revolutionäre Änderung der Rechtsprechung zur gesundheitlichen Eignung von Beamten vor der Übernahme als Beamte auf Lebenszeit vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis
Bisherige Rechtsprechung betreffend die gesundheitliche Eignung bei der Einstellung
Bisher galt:
„Der Beamte muss in körperlicher und psychischer Hinsicht den Anforderungen des Amtes gewachsen sein. Die Eignung in gesundheitlicher Hinsicht ist in der Regel nach dem allgemeinen Maßstab gegeben, wenn sich nach der prognostischen Einschätzung des Dienstherrn künftige Erkrankungen des Beamten und dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausschließen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2001 – BVerwG 2 A 5.00 -, Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 60 = NVwZ-RR 2002, 49 = ZBR 2002, 184, zitiert nach juris Langtext Rn. 16 m. N.; BVerwG, Beschl. v. 23.4.2009 – BVerwG 2 B 79.08 -, zitiert nach juris Langtext, Rn. 8).“
(OVG Lüneburg, Urteil vom 25. Januar 2011 – 5 LC 190/09 –, juris)
Dazu musste der Dienstherr auf der Grundlage eines amtsärztlichen Gutachtens die Prognose treffen, dass der Beamte voraussichtlich die Pensionsgrenze erreichen wird, ohne dienstunfähig zu werden.
Das grenzte an Wahrsagerei: Eine solche Prognose kann ein Mediziner seriös nicht abgeben, da sie weit in die Zukunft gerichtet ist und im Grunde sogar medizinische Fortschritte bei der Behandlung von Krankheiten vorwegnehmen müsste. Was heute zur Dienstunfähigkeit führt, muss dies in 30 Jahren längst nicht zwingend.
Neue Rechtslage: Urteil des BVerwG betreffend die gesundheitliche Eignung von Beamten
Nunmehr gilt als neuer Maßstab für die gesundheitliche Eignung:
„Daher kann der Dienstherr einem Bewerber die gesundheitliche Eignung für die angestrebte Laufbahn nur dann absprechen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zur Pensionierung über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen (im Anschluss an das Urteil vom 25. Juli 2013). Dabei kann die gesundheitliche Eignung nur im Hinblick auf Erkrankungen, insbesondere chronische Erkrankungen verneint werden, nicht aber unter Berufung auf gesundheitliche Folgen, die mit dem allgemeinen Lebensrisiko, wie z.B. einem Unfall bei sportlichen Aktivitäten des Bewerbers, verbunden sind.
Ist zum Zeitpunkt der Begründung des Beamtenverhältnisses auf Probe oder auf Lebenszeit eine Erkrankung des Bewerbers bereits bekannt, so ist der Eintritt der dauernden Dienstunfähigkeit des Bewerbers vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze oder von regelmäßigen und erheblichen Ausfallzeiten über Jahre hinweg überwiegend wahrscheinlich, wenn für die Richtigkeit dieser Annahme nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht maßgeblich in Betracht kommen.
Lassen sich vorzeitige dauernde Dienstunfähigkeit oder krankheitsbedingte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten nach Ausschöpfen der zugänglichen Beweisquellen weder feststellen noch ausschließen („non liquet“), so geht dies zu Lasten des Dienstherrn. Denn die Voraussetzungen für die Annahme der mangelnden gesundheitlichen Eignung eines Bewerbers im Sinne von § 31 Abs. 1 BBG a.F. sind nicht erfüllt.
Bloße Zweifel des Dienstherrn an der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers, die den genannten Anforderungen nicht genügen, sind dagegen unerheblich. Soweit der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung für die Annahme mangelnder gesundheitlicher Eignung des Bewerbers auch „nachhaltige Zweifel“ des Dienstherrn, insbesondere aufgrund von erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten, hat ausreichen lassen, wird diese aufgegeben (Urteil vom 18. Juli 2001 – BVerwG 2 A 5.00 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 60 S. 2 und Beschluss vom 16. September 1986 – BVerwG 2 B 92.86 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 39 S. 16 m.w.N.). Auch bei längeren oder wiederkehrenden krankheitsbedingten Fehlzeiten während der Probezeit ist auf der Grundlage aussagekräftiger ärztlicher Stellungnahmen zu klären, ob der Beamte wegen der diesen Fehlzeiten zugrundeliegenden Erkrankung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der Regelaltersgrenze wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden muss. Gleiches gilt, wenn der Beamte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten aufweisen wird.“
(BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 16/12 –, juris)
Bindung an Feststellung des Amtsarztes über die gesundheitliche Eignung in der Probezeit
Der Dienstherr ist dabei sogar an seine Beurteilung der gesundheitlichen Eignung bei der Einstellung eines Beamten auf Probe gebunden:
„War die Erkrankung einer Probebeamtin bereits vor der Begründung dieses Beamtenverhältnisses bekannt, so darf der Dienstherr die gesundheitliche Eignung der Beamtin bei der anstehenden Ernennung zur Beamtin auf Lebenszeit nur dann im Hinblick auf diese Erkrankung verneinen, wenn sich die Grundlagen ihrer Bewertung inzwischen geändert haben (Urteil vom 30. Oktober 2013 – BVerwG 2 C 16.12 -). Das ärztliche Gutachten vom 8. August 2005, aufgrund dessen die Klägerin zur Beamtin auf Probe ernannt wurde, war von einem Amtsarzt erstellt worden, der dem Bereich des Beklagten zuzurechnen ist.“
(BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2013 – 2 B 37/13 –, juris)
Im Klartext: ändert sich die Gesundheitssituation in der Probezeit nicht, muss der auf Probe eingestellte Beamte auch auf Lebenszeit übernommen werden.
Kein Schadensersatz für nach altem Recht abgelehnte Bewerber
Das Bundesverwaltungsgericht hat damit nicht nur einen alten Zopf abgeschnitten, der tausende von Beamten zu Unrecht um die Verbeamtung auf Lebenszeit gebracht hat. Schadensersatz können die Betroffenen gleichwohl nicht verlangen, weil die seinerzeitige Entscheidung der Dienstherren im Hinblick aug die “ gesundheitliche Eignung dem damaligen Stand von Rechtsprechung und Schrifttum (Urteile vom 25. Februar 2010 a.a.O. jeweils Rn. 26 und vom 26. Januar 2012 – BVerwG 2 A 7.09 – BVerwGE 141, 361 Rn. 40)“ entsprach, so das BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 12/11 –, BVerwGE 147, 244-261.
Prognose des Amtsarztes voll überprüfbar
Auch die Prognose betreffend die gesundheitliche Eignung, die letztlich auf dem Gutachten des Amtsarztes beruht, ist nicht mehr sakrosankt, sondern von den Gerichten voll überprüfbar:
„Die Verwaltungsgerichte haben über die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerbern zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein; diesem steht insoweit kein Beurteilungsspielraum zu. Auch insoweit hält der Senat an seiner früheren Rechtsprechung nicht fest (vgl. Urteile 17. Mai 1962 – BVerwG 2 C 87.59 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 6 S. 14 f. und vom 18. Juli 2001 – BVerwG 2 A 5.00 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 60 S. 2).“
(BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 12/11 –, BVerwGE 147, 244-261)
„Wie dargestellt hat der Dienstherr die gesundheitliche Eignungsprognose auf der Grundlage einer fundierten medizinischen Tatsachengrundlage zu treffen. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die Verwaltungsgerichte im Gegensatz zum Dienstherrn gehindert wären, sich auf dieser Grundlage ein eigenverantwortliches Urteil über die voraussichtliche Entwicklung des Gesundheitszustandes und die Erfüllung der dienstlichen Anforderungen zu bilden. Dementsprechend ist anerkannt, dass dem Dienstherrn für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit als Voraussetzung für die vorzeitige Versetzung eines Beamten in den Ruhestand kein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. nur Urteil vom 26. März 2009 – BVerwG 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25 jeweils Rn. 14 f.)“
(BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 12/11 –, BVerwGE 147, 244-261)
Es hat sich in der Rechtsprechung also an mehreren Punkten eine rationale und logisch nachvollziehbare Ansicht durchgesetzt. Für die Dienstherren wird es daher zukünftig deutlich schwieriger, bei gesundheitlichen Einschränkungen, Psychotherapie, aber auch beim Streitpunkt Body-Mass-Index, kurz BMI, die Verbeamtung abzulehnen.
Beweislast liegt allerdings beim Bewerber
Der Einstellungsbewerber trägt allerdings
„die materielle Beweislast für die erforderliche Eignung (BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2016 – 2 A 2.16 – NVwZ 2017, 232 Rn. 30). Er ist – anders als im Falle der Feststellung einer Dienstunfähigkeit von bereits ernannten Beamten (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1 Rn. 9) oder der hierauf Bezug nehmenden Entlassung eines Beamten auf Probe nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BBG (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 16.12 – BVerwGE 148, 204 Rn. 40) – mit dem Risiko der Nichterweislichkeit seiner gesundheitlichen Eignung belastet“
(so BVerwG, Beschluss vom 11. April 2017 – 2 VR 2/17 –, Rn. 13, juris)
Deshalb ist es wichtig, so früh wie möglich die gesundheitliche Eignung nicht nur medizinisch, sondern auch juristisch abzuklären.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
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Rechtsanwalt Felser hat vor seiner Anwaltstätigkeit eine Rechtsabteilung der Gewerkschaft öffentlichen Dienste, Transport und Verkehr geleitet. Er wird bundesweit mandatiert, wenn es um Beamtenrecht und die Verbeamtung geht. In vielen Verfahren konnte von ihm bereits aussergerichtlich, in anderen Fällen nach Anrufung des Verwaltungsgerichts, eine Verbeamtung auf Lebenszeit durchgesetzt werden. Eine telefonische Beratung oder eine Beratung via Skype oder Facetime – auch als Zweitmeinung – ist nach Vereinbarung mit der Mitarbeiterin von Rechtsanwalt Felser auch kurzfristig möglich.
In Interviews u.a. mit dem Lehrerfreund, dem ÖTV Magazin, der „Kölschen Polizei“, Verdi publik u.a. werden wir als Experten zum öffentlichen Dienstrecht gehört. Verdi Köln empfiehlt unsere Kanzleiseiten zum Beamtenrecht und öffentlichen Dienstrecht.
Wir vertreten ausserdem zahlreiche Personalvertretungen (Personalrat, Gesamtpersonalrat, Bezirkspersonalrat und Hauptpersonalrat) in Köln, Bonn, Düren Aachen, Düsseldorf, Rhein-Erft-Kreis und Umgebung, so daß wir auch die häufigen Mängel im Beteiligungsverfahren der Arbeitnehmervertretung bei personellen Einzelmaßnahmen wie Ernennung, Beförderung, Entlassung und Zurruhesetzung die erkennen und geltend machen können.
P.S.: Das Bundesverfassungsgericht hat aktuell die Altersgrenze für die Einstellung von Beamten in NRW kassiert. Mehr in unserem Beitrag hier <<<
Der Autor wird regelmäßig als Arbeitsrechtsexperte im ARD, WDR und SWR und von Bild.de / BILD interviewt und zitiert. Daneben wird Rechtsanwalt Felser in Beiträgen u.a. in der Süddeutschen Zeitung, Frankfurter Allgemeinen Zeitung F.A.Z, WELT, Capital, Focus und Spiegel/Managermagazin sowie zahlreichen anderen Zeitschriften (Wirtschaftswoche, Frankfurter Rundschau, Kölner Stadtanzeiger, Impulse, Handelsblatt, FTD, GELD.de, Tagesspiegel uvm) zitiert. Seit 1995 hat Rechtsanwalt Felser mehr als tausend Interviews vor allem im Arbeitsrecht gegeben.
Interviews von Rechtsanwalt Felser zum Beamtenrecht:
Lehrerfreund vom 8.12.2009: Dürfen Beamte streiken?
Rechtsanwalt Felser im Interview
Mindener Tageblatt vom 28.10.2015 : Abnehmen für den Job: 36-jähriger Lehrer trainiert, um verbeamtet zu werden – mit Interviewzitaten Rechtsanwalt Felser.